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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
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Kantor Mangsilber, der Singlehren. Er war Vorstand eines Gesangvereins, für den er mehrere Oratorien im alten Mendelsohn-Styl komponiert hatte. Er trug eine Perrücke, die ihm bei Musikaufführungen, wenn er leidenschaftlich den Taktstock schwang, auf die linke Gesichtshälfte herunterrutschte, haßte alle moderne Musik und hielt sich für ein verkanntes Genie. In seinen Manieren ahmte er den Sebastian Bach nach, gab sich schlicht, derb, strenggläubig.
    Endlich war noch der Lehrer Dr. Pennig da, ein ungemein dünner, langer Herr, mit einem verrunzelten, trocknen, faltenreichen Magistergesicht und begabt mit einer so scharfen Fistelstimme, daß seine Schüler behaupteten, man könne sich mit ihr rasieren. Seine Schüler nannten ihn nur den »Mehr oder weniger«, weil diese Phrase in allen seinen Sätzen ewig wiederkehrte. Seine Stunden wären für seine Zöglinge sehr langweilig gewesen, wenn er es nicht verstanden hätte, durch unfreiwillige Komik sie ein wenig anziehender zu gestalten.
    Dies waren die Herren Lehrer, die nun, spärlich und leise plaudernd, in unlustiger Morgenstimmung umeinanderstanden, bis es Zeit war, den Unterricht zu beginnen und ein Wink des Direktors sie auf die versammelte Jugend losließ, einen jeden in seine Klasse.
    Lebhafter ging es zu, als in der ersten Unterrichtspause die Lehrer wieder in ihrem Zimmer beisammen waren.
    Der Theologe hatte ein Zeitungsblatt aus der Tasche gezogen und las daraus die Kritik über die jüngste Aufführung des Hamlet im Hoftheater vor.
    »Ist das nicht köstlich?« bemerkte er dazu. »Dieser Blaustrumpf Emma Dorn orakelt da über die tiefsinnigste Dichtung und setzt dabei die Komma ganz falsch!«
    »Ja,« gab ihm der Direktor recht, »dieses Frauenzimmer verderbt den Geschmack. Wie kann ein nicht akademisch gebildeter Mensch überhaupt über Hamlet schreiben! Sie hat ja gar nicht die gesamte Hamletlitteratur durchstudiert; das wäre doch das Wichtigste. Statt die berühmten Autoritäten anzuführen, wagt sie es, eigene Gedanken zum Besten zu geben; bedenken Sie, meine Herren, eigene Ideen über einen Gegenstand, den unsre Wissenschaft völlig erschöpft hat.«
    »Gewiß, Herr Direktor,« bestätigte der Theologe, »Sie haben vollkommen recht! Und dieser abscheuliche, geistreichelnde Feuilletonstyl! Das soll Grazie sein, – man merkt aber, daß ihr Geist weder durch Latein, noch durch Griechisch die gehörige Dressur erhalten hat.«
    Schon vor einigen Minuten war lebhaft und frisch der ganz modern empfindende Dr. Wilhelm Köhler eingetreten. Er las alles Neue, stand mit seinen Ansichten ganz auf naturwissenschaftlichem Boden und war ziemlich unbeliebt bei seinen Kollegen. Da er aber ein ansehnliches Vermögen besaß, wagte man nicht ihn direkt anzugreifen; er hätte ja sonst, ohne sich lange zu besinnen, seinen Abschied genommen. Der lebhafte junge Mann, der die letzten Worte des Theologen gehört hatte, wagte es, den »Blaustrumpf« sogleich mit Ostentation in Schutz zu nehmen.
    »Eine ganz neue Idee!« sagte er begeistert. »Sie packt das Problem von einer ganz neuen Seite. Sie hat vielleicht recht –: Hamlet gehört in die ›Psychopathia sexualis‹.« Nun entwickelte er den Ideengang ihres Artikels mit so viel Feuer, daß er dadurch allgemeines Kopfschütteln erregte. Das war ja eine ganz naturalistische Weltanschauung; er sprach sogar dem Menschen den freien Willen ab! und vor acht Tagen hatte doch der Herr Kultusminister in einer langen Rede (während eines psychologischen Kongresses) betont, daß er erwarte, die Herren Professoren würden die Freiheit des Willens nicht antasten.
    »Dieses Frauenzimmer,« brach der Direktor das eisige Schweigen, »soll soeben einen höchst unmoralischen Roman veröffentlicht haben. »Finstre Dämonen«. Ich werde den Roman lesen. Verhält es sich wirklich so, – dann sollte man das Buch dem Staatsanwalt überantworten.«
    »Das werde ich auch tun,« versetzte der Theologe streng.
    »Ich gebe Ihnen vollkommen recht,« beglückwünschte ihn Körn zu seiner Initiative; wir haben die Pflicht, nicht nur den guten Geschmack, auch die guten Sitten zu retten.«
    Dr. Wilhelm Köhlers offene Züge verfinsterten sich, er strich sich nervös über seinen schwarzen Spitzbart und meinte: »Ich möchte nicht den Angeber spielen. Übrigens ist das Buch nicht so schlimm . . .«
    Der Direktor brach diesen ihm peinlichen Gegenstand ab und fragte einige der Herren nach den Leistungen seines Sohnes. Man lobte, ja bewunderte ihn
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