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Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909

Titel: Walloth, Wilhelm: Im Schatten des Todes. 1909
Autoren: Walloth
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allgemein. Dr. Köhler war der Einzige, der dem Vater die Wahrheit ins Gesicht zu sagen wagte.
    »Ihr Sohn, Herr Direktor,« meinte er, »ist vielleicht ein Genie, – aber ein krankhaftes. Ein Treibhausgewächs. Er weiß jetzt schon mehr als wir alle hier von Philosophie und andern Fächern. Sein Buch über Nietzsche strotzt von wunderlichen Gedanken, die er in eine seltsame, farbenschimmernde Sprache kleidet. Geben Sie acht, Herr Direktor, aus solchen frühreifen Talenten wird meistens nichts. Oft gehen sie im Leben bald völlig zu Grund.«
    Alle waren erstaunt über den Freimut des jungen Philologen. Der Direktor drückte ihm indessen die Hand.
    »Sie sind vielleicht tiefer in das Seelenleben meines Kindes eingedrungen, als ich. Meinen Sie nicht, ich müsse recht streng gegen ihn sein?«
    Dr. Köhler zuckte die Achseln. »Bei einem so ungewöhnlichen Fall versagt jede pädagogische Regel. Ich wage da wirklich nicht eine Meinung zu äußern.«
    »Nun,« fuhr der Direktor fort, »ich versuchs zunächst mit Strenge.«
    »Bei der Reizbarkeit seines Gemüts könnte Strenge unter Umständen gefährlich werden,« warf Dr. Köhler hin. »Vielleicht wäre echte Milde, Weichheit und Liebe eher am Platz.«
    »Dadurch,« meinte der Vater, »wird seine Großmannsucht, sein geistiger Hochmut noch gesteigert.«
    »Allerdings, diese Gefahr liegt nahe.«
    »Ich muß ihm andeuten, daß er noch garnichts ist. Ich werde ihm sogar das poetische Produzieren verbieten.«
    Die Herren gaben ihn vollkommen recht. Später als das allgemeine Gespräch sich in Sonderunterhaltungen aufgelöst hatte, zog der Direktor, nach einigem Besinnen, den Dr. Simmer in eine Fensternische.
    »Lieber Herr Doctor,« begann er, bald blaß, bald rot werdend, »ich habe ein paar Worte . . . . ich muß . . . muß Ihnen eine Aufklärung geben . . .«
    »Eine Aufklärung?« sagte der Theologe, während über seine kalten Züge ein süßliches Lächeln glitt, mit dem er, in Folge eines Augenfehlers, nach einer ganz anderen Richtung zu sehen schien.
    »Ja,« stammelte der Direktor; »es wird mir schwer von dieser Sache zu reden . . .«
    »Das sehe ich Ihnen an.«
    »Nun . . . wie dem nun auch sei . . . Tatsache ist: Sie haben einen Band geistliche Lyrik herausgegeben?«
    »Wie? Woher wissen Sie . . .«
    »Leugnen Sie?« scherzte der Direktor.
    »Ich bin auf der Tat ertappt!« lachte der Theologe.
    »Nun . . . wie dem nun auch sei . . . man gratuliert Ihnen zu Ihrer poetischen Ader.«
    »Ja,« gestand der Mann Gottes, mit mildem Lächeln und stillem Augenaufschlag, »ich habe meine Seele zuweilen in frommen Liedern zu Gott erhoben. Ich denke man sieht nun höheren Orts, was ich als Bildner der Jugend zu leisten vermag. Denn wohl nie hat ein Sänger so leidenschaftlich den modernen Unglauben, den Geist des Umsturzes angeklagt.«
    »Sehr löblich,« stammelte der Direktor. »Man wird höheren Orts gewiß mit hoher Achtung auf Sie blicken und eine solche Lehrkraft zu schätzen wissen. Indes . . . die Kritik! die böse Kritik!«
    »Sie erinnern mich mit Recht an die Kritik,« fiel ihm Dr. Simmer entrüstet ins Wort. »Der gemeine Ton der Kritik in Deutschland verdient unsre tiefste Verachtung. Auch mich hat man in den Kot gezogen, auch mein hohes Streben hat man als Speichelleckerei oder Liebedienerei oder Heuchelei lächerlich zu machen gesucht.«
    »Ich weiß,« entfuhrs dem beklommnen Körn.
    »Sie wissen?«
    »Leider . . .«
    »Sie haben jenen schändlichen Angriff in der ›Litterarischen Wacht‹ gelesen?«
    »Leider!«
    »Ich habe auch bereits Strafantrag gestellt.«
    »Schon?«
    »Meinen Sie, ich könne solche pöbelhafte Beleidigungen auf mir sitzen lassen?«
    »Nein, nein! es ist nicht in Abrede zu stellen, – der Artikel strotzt von Roheiten.«
    »Man brandmarkt mich geradezu als trottelhaften Heuchler! Ist solch ein Ton erhört?«
    »Sie sind völlig im Recht,« stotterte der Direktor, dessen Kopf blutrot anlief, »völlig! Verklagen Sie den Menschen. Kennen Sie den Kritiker?«
    »Nein; er nennt sich Paolo Reddi – oder Reddig . . .«
    »Es tut mir leid, es sagen zu müssen . . . ich bin unglücklich, tief unglücklich . . . bedauern Sie mich . . . es ist mein ungeratner Karl.«
    Dr. Simmer prallte zurück. »Wie? Paolo Reddig ist . . . Ihr Sohn?«
    »Ich bin tief betrübt, dies eingestehen zu müssen und ich bitte Sie – Strafantrag zu stellen. Er soll diesen Denkzettel davontragen. Man hat mit ihm darüber gesprochen. Sie tun
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