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Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Autoren: Walloth
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war es, sie stand vor ihr, die Feindin, die Verhaßte, der Zufall, das Glück hatte sie in ihre Hand gegeben. Nun durfte sie aufatmen, die Erfüllung ihrer heißen Wünsche war in ihre unmittelbare Nähe gerückt. Auch Myrrah hatte die Furchtbare erkannt, von der all ihr Leid ausging, sie sah ihr in das kalte, herzlose Auge, hörte ihre schweren, heißen Atemzüge und konnte den eisigen Schauer, der ihr vom Gehirn den Rücken hinabrann, kaum zurückdrängen bei dieser Erkennung.
    »Ei! das trifft sich vortrefflich, meine holde Myrrah,« sagte Asso tückisch lächelnd, »ich freue mich, deine Bekanntschaft auf diese Weise zu erneuern, komm, laß uns ein Wörtchen zusammen wechseln, setze dich, du bist, wie man mir schrieb, entflohen; das war nicht recht, der gute Isaak liebte dich aufrichtig.«
    Wie kam Myrrah hierher? Ihre Lebensschicksale waren kurz folgende:
    Myrrah hatte, als sie sich nach ihrer glücklichen Flucht im Nilschilf verborgen, bald ein Fahrzeug entdeckt, dessen Führer bereit war, sie nach Theben zu fahren. Einige goldene Spangen und andere Kostbarkeiten, die sie ihm reichte, erhöhten des Mannes Eifer. Auf der Hälfte der Fahrt stieß Hadsa, die treue Schwarze, zu ihr; nun aber erklärte der Schiffer, zwei Personen seien ihm zu viel für sein Boot; er war unter keinen Umständen zum Weiterfahren zu bewegen, sondern lieferte die beiden Frauen einem größeren Schiffe aus, das Elfenbein von Äthiopien nach Memphis gebracht hatte und das nun über Theben seinen Weg nach seinem Vaterland zurücknahm. Der Kapitän des Fahrzeuges erklärte sich bereit, Myrrah und ihre Dienerin nach Theben zu befördern. Kaum befanden sich die beiden Frauen an Bord, als sie auch schon über Zudringlichkeiten dieses Kapitäns zu klagen hatten. Sie wollten ans Land gesetzt sein, jedoch der Äthiopier gab ihren Bitten nicht nach, sondern schloß die Verlassenen in einer unteren Kajüte ein. Sie errieten nun aus Winken und Andeutungen, daß man mit dem schändlichen Plane umging, sie in Meroë als Sklavinnen zu verhandeln. Einem seltsamen Auftritt jedoch hatten sie ihre Rettung zu verdanken. Des Kapitäns Bruder wollte nämlich die beiden Frauen für sich allein besitzen, was der andere nicht zugab. Oft hörten sie den heftigen Wortwechsel der beiden. Als das Schiff in der Nähe von Theben anhielt, trat der ältere Bruder zu Myrrah in die Kajüte, setzte sich neben sie und versuchte es, auf unverschämte Weise mit ihr zu scherzen. Myrrah, blaß vor Schrecken, bemerkte nicht, daß er vergessen, die Türe zu schließen, was hingegen Hadsas scharfes Auge sogleich entdeckte. Myrrah blieb stumm, Hadsa aber schlug ein überlautes Geschrei auf, sprang an die Türe und rief nach dem anderen Bruder, der denn auch sogleich herbeieilte, und wie er sah, was vorging, augenblicklich über den anderen herfiel. Beide Kämpfenden schlugen und bissen sich auf wahrhaft tierische Weise; schließlich wälzten sie sich auf dem Boden umher. Diesen Moment benutzte Hadsa, sie nahm ihre zitternde Herrin bei der Hand, führte sie aus der Kajüte die Schiffstreppe hinauf, und so entkamen sie leicht, da die Verbindungsbrücke des Schiffes noch nicht vom Lande zurückgezogen war. Hierauf flohen sie nach Theben, wo sie vor einigen Wochen angekommen waren. Während dieser Tage hatte sich Myrrah keine andere Aufgabe gestellt, als in Menes' Nähe zu gelangen, was ihr bis jetzt unmöglich gewesen. Heute hatte ihr Hadsa geraten, sich in den Gebüschen des Palastgartens zu verbergen, sie, Hadsa, wolle im Palast nach Menes fragen, um ihm mitzuteilen, wer auf ihn wartete. Das war geschehen, Myrrah aber konnte es nicht langer aushalten in ihrem Blätterversteck, sie wollte ebenfalls nach dem Palast eilen, denn Hadsa blieb ihr zu lange, und der Gedanke, in der Nähe des Geliebten zu weilen und ihm doch so ferne zu sein, wurde ihr unerträglich. Und nun! Alle Gefahren hatte sie überstanden; Jehova führte sie bis vor das Tor des Glückes, Isaaks Gewalt war sie entronnen, und nun öffnete sich ihr von neuem der Abgrund. Welcher tückische Zufall führte sie in die Arme der bittersten Feindin, in die Hände des Weibes, dem sie all ihr Elend zu verdanken hatte? Alles umsonst? Sollte sie im Hafen noch Schiffbruch erleiden? Nein! jetzt galt es siegen, jetzt galt es, die letzten Kräfte aufzuraffen, Hilfe war ja nahe, Hadsa konnte jeden Augenblick mit Menes in den Park eilen, sie war sicher, sie hatte keine Gefahr mehr zu fürchten.
    »Ich bin entflohen,« erwidert sie mutig
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