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Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883

Titel: Walloth, Wilhelm: Das Schatzhaus des Königs. 1883
Autoren: Walloth
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blutige Werk vollziehen? Dieser Plan schien ihr der rätlichste, sie schauderte keinen Augenblick davor zurück in ihrem blinden Trieb, dem Sohne dieses Hemmnis auf dem Wege des Ruhmes hinwegzuschaffen. Myrrah mußte unbedingt vom Erdboden verschwinden, dann war ihre Entlarvung unmöglich, und Menes' Heirat mit der Königstochter ließ sich leicht bewerkstelligen. Ihr Entschluß stand fest, sie wollte ihn mit derselben Entschiedenheit ausführen, mit der sie ihn gefaßt. Noch heute nacht sollte sie ein Boot, das dem ihres Menes zuvorkommen mußte, nach Memphis tragen. Ehe sie den Palast verließ, bat sie Asa-Termutis um eine Unterredung. Sie fand das Königskind, dessen sich eine edle Resignation bemächtigt hatte, auf ihrem Lager sitzen, welches sie von jetzt ab frühe am Abend aufzusuchen gewohnt war. Asa-Termutis sprach fast kein Wort, sie schüttelte nur trübe ablehnend das Haupt, als Asso ihr zu verstehen gab, sie werde sich die größte Mühe geben, ihren Sohn mit ihr zu vereinigen. Nur einmal, als Asso frug, ob sie, Asa-Termutis, nicht selbst mit Menes sprechen wollte, um dadurch vielleicht auf sein Herz einzuwirken, erwiderte sie: »Er hat gesprochen!« Die Witwe ging auf ihr Zimmer, wo sie sogleich ihre nötigsten Dinge einpacken und zur heimlichen Abreise fertigmachen ließ. Auf dem Tisch fand sie ein Schreiben von Memphis. Der Nomarch dieser Stadt, ihr Freund, richtete einige Zeilen an sie. Kaum hatte sie die Hieroglyphen überflogen, als ihre Dienerinnen sie erbleichen sahen; sie trieb alle aus dem Gemache und las noch einmal mit gespanntester Aufmerksamkeit den Brief, der ihren ganzen Plan zerstörte.
    »Hohe Freundin,« begann dies Schreiben, »während der wenigen Tage Deiner Abwesenheit hat sich in Memphis des Merkwürdigen viel zugetragen. Ich halte es für meine Freundespflicht, Dir in kurzen Worten Kunde davon zu geben, da manches vorgefallen ist, was vielleicht für Dich von Wichtigkeit sein dürfte. Um mit dem weniger Auffallenden anzufangen: Myrrah ist ihrem Manne entflohen, kein Mensch weiß, welchen Weg sie genommen. Einige versichern, man habe sie nach Äthiopien als Sklavin verkauft, andere erzählen von ihrem Tod im Nil, wieder andere wollen sie auf einem Schiff, das nach Theben eilte, gesehen haben. Gestern trafen königliche Beamte in unserer Stadt ein und verhafteten Isaak. Ich darf Dir wohl, ohne mich in Unannehmlichkeiten zu stürzen, mitteilen, wessen man ihn anklagt. Er soll den Schatz des Königs beraubt haben, ein Verbrechen, das den Tod nach sich zieht. Als man ihn festnahm, verdankte man der Bosheit des Angeklagten die Auffindung eines höchst wichtigen Dokumentes, von dessen Inhalt ich Dir jedoch nur verraten darf, daß es seltsame Aufschlüsse über die Abstammung Myrrahs gibt. Dies Dokument – man flüstert sich viel darüber in die Ohren – hatte der Dieb im Schatzhause gefunden, hatte es wohl verwahrt und war gerade im Begriff, es für immer zu vernichten, als man es ihm noch zur rechten Zeit entriß. Dies Schriftstück wird in kurzem in den Händen des Königs sein; man ist gespannt auf die Eröffnung desselben. Wie ich eben erfahre, entzog sich Isaak dem Arm der Gerechtigkeit dadurch, daß er, als man ihn auf das Schiff brachte, um ihn nach Theben zu führen, sich in die Wogen des Nil stürzte. Man vermochte ihn nur als Leiche aus dem Wasser zu ziehen.«
    Die Witwe zerriß schwer aufatmend den Brief, als sie ihn beendet. Ihr ganzer Plan war vernichtet. Wenn Myrrah entflohen – wohin sollte sie anders fliehen, als hierher; war sie vielleicht schon in der Nähe? Wann traf sie ein? Jeden Augenblick konnte sie mit Menes zusammentreffen. Das mußte verhindert werden. An Isaaks Tod und die Auffindung des Dokumentes zu denken, ließ ihr die tödliche Überraschung über diese Flucht nicht Zeit; dieser Gedanke verschlang alle übrigen. Was sollte sie jetzt beginnen? Ihre Reise nach Memphis war unnötig geworden, aber auch Menes fand dort nicht mehr, was er suchte; das war ein Trost. Entdecken, wo sich Myrrah aufhielt und sie unbemerkt verschwinden lassen vom Erdboden, das war das einzige Ziel, welches ihr blieb, die einzige Aussicht auf Rettung. Späher im Lande umherschicken, keine Kosten scheuen, sagte sie sich, sie mußte gefunden werden, die entlaufene Jüdin, und wenn man Jahre auf das Suchen verwendete. Und da Myrrah jedenfalls den Weg nach Theben genommen, mußte sie nicht in der Umgebung dieser Stadt gefunden werden? Jetzt galt es nur zu verhindern, daß Myrrah ihr
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