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Wallander 10 - Wallanders erster Fall

Wallander 10 - Wallanders erster Fall

Titel: Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Autoren: Henning Mankell
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er die Leiche entdeckt hatte; nur, daß diese jetzt fortgebracht worden war. Wallander sah sich langsam um. Was macht man, dachte er. Wie entdeckt man Dinge, die man sieht, ohne sie wirklich wahrzunehmen. Irgend etwas mußte es geben. Davon war er überzeugt.
    Aber er sah es nicht.
    Er ging hinaus in die Küche und setzte sich auf den Stuhl, auf dem Hemberg gesessen hatte. Der Tippschein lag vor ihm. Wallander verstand nicht besonders viel von Fußball. Genaugenommen verstand er überhaupt nichts davon. Wenn er einmal spielte, dann kaufte er ein Lotterielos, das war alles.
    Der Tippschein galt für den kommenden Samstag. Soviel konnte er sehen. Hålén hatte sogar Namen und Adresse ausgefüllt.
    Wallander kehrte ins Zimmer zurück und stellte sich ans Fenster, um den Raum aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Sein Blick blieb am Bett hängen. Hålén war angekleidet gewesen, als er sich das Leben nahm. Aber das Bett war ungemacht, obwohl im übrigen pedantische Ordnung herrschte. Warum hat er sein Bett nicht gemacht, dachte Wallander. Es kann doch wohl nicht so gewesen sein, daß er angezogen geschlafen hat, erwacht ist, sich erschossen |30| hat – und das alles, ohne vorher noch sein Bett zu machen. Und warum liegt ein ausgefüllter Tippschein auf dem Küchentisch?
    Es paßte alles nicht zusammen. Aber es mußte anderseits auch nichts bedeuten. Hålén konnte sich ganz plötzlich entschlossen haben, seinem Leben ein Ende zu setzen. Er hatte vielleicht die Sinnlosigkeit darin erkannt, ein letztes Mal sein Bett zu machen.
    Wallander setzte sich in den einzigen Sessel im Zimmer. Er war durchgesessen und abgewetzt. Ich bilde mir etwas ein, dachte er wieder. Der Gerichtsmediziner wird feststellen, daß es Selbstmord war. Die technische Untersuchung wird bestätigen, daß die Waffe und die Kugel zusammengehören und daß der Schuß von Håléns eigener Hand abgegeben worden ist.
    Wallander beschloß, die Wohnung zu verlassen. Er mußte sich waschen und umziehen, bevor er losging, um Mona zu treffen, aber etwas hielt ihn noch zurück. Er ging zur Kredenz und begann die Schubladen zu öffnen. Sofort fand er die beiden Seemannsbücher. Artur Hålén war in seiner Jugend ein flotter Mann gewesen. Helle Haare, ein offenes und breites Lächeln. Es fiel Wallander nicht leicht, sich vorzustellen, daß das Bild denselben Mann darstellte, der stumm und zurückgezogen seine letzten Tage in Rosengård verbracht hatte. Noch weniger vorstellbar war es, daß das Bild einen Mann zeigte, der sich eines Tages das Leben nehmen würde. Aber Wallander wußte, wie falsch er dachte. Selbstmörder ließen sich nicht nach starren Schablonen beurteilen.
    Er fand den farbenfrohen Käfer und nahm ihn mit ans Fenster. Auf der Unterseite der Schachtel glaubte er zu erkennen, daß dort »Brasil« gedruckt stand. Ein Souvenir, das Hålén auf irgendeiner seiner Fahrten gekauft haben mußte. Wallander ging die Schubladen weiter durch. Schlüssel, Münzen aus verschiedenen Ländern – nichts, was seine Aufmerksamkeit gefangennahm. Halb unter dem schäbigen und brüchigen Regalpapier, mit dem die unterste Schublade ausgelegt war, steckte ein brauner Umschlag. Wallander öffnete ihn; er enthielt eine alte Fotografie. Ein Hochzeitspaar. Auf der Rückseite der Name eines Fotoateliers und ein Datum: 15.   Mai 1894.   Das Atelier war in Härnösand. Außerdem stand dort:
Manda und ich am Tag unserer Hochzeit.
Die Eltern, dachte Wallander. Vier Jahre später wird der Sohn geboren.
    |31| Als er mit der Kredenz fertig war, ging er hinüber zum Bücherregal. Zu seiner Verwunderung standen dort mehrere deutsche Bücher. Sie waren abgegriffen und gründlich gelesen. Außerdem standen einige von Vilhelm Mobergs Büchern da, ein spanisches Kochbuch und ein paar Hefte einer Zeitschrift für Modellflugzeugbau. Wallander schüttelte verwundert den Kopf. Das Bild von Hålén war bedeutend komplexer, als er geahnt hatte. Er wandte sich vom Bücherregal ab und schaute unter das Bett. Nichts. Dann ging er weiter zum Kleiderschrank. Die Sachen waren ordentlich aufgehängt. Drei Paar geputzte Schuhe. Nur das ungemachte Bett, dachte Wallander wieder, das stört das Bild.
    Er wollte gerade den Kleiderschrank zumachen, als es an der Tür klingelte. Wallander fuhr zusammen. Wartete. Es klingelte von neuem. Wallander hatte das Gefühl, sich auf verbotenem Gelände zu befinden. Er wartete noch einen Augenblick. Als es zum drittenmal klingelte, ging er hin und
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