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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Autoren: Henning Mankell
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Überzeugung, dass nur ein sehr betrunkener Kapitän das Kunststück hatte fertigbringen können, so weit ins Schärenmeer einzudringen, ohne schon früher auf Grund zu laufen.
    Am 6. November wurde die U 137 in internationale Gewässer geschleppt und verschwand. In diesem Fall bestand also kein Zweifel daran, dass ein sowjetisches U-Boot in schwedischen Hoheitsgewässern unterwegs gewesen war. Doch ob es eine bewusste Verletzung des schwedischen Hoheitsrechts oder Trunkenheit am Ruder war, wurde nicht geklärt. Dass die Russen steif und fest bei dem defekten Kompass blieben, wurde allgemein als Bestätigung dafür angesehen, dass der Kapitän wirklich betrunken war. Keine Flotte, die etwas auf sich hält, gibt zu, dass einer ihrer Befehlshaber im Dienst betrunken ist.
    Damals hatte es die Beweise gegeben. Aber wo waren sie jetzt?
    Was der damalige Verteidigungsminister zu seiner eigenen und zur Verteidigung der Untersuchung vorzubringen hatte, weiß niemand. Er selbst hatte keine Aufzeichnungen gemacht, und Olof Palme, der einige Jahre später ermordet wurde, hinterließ auch keine schriftlichen Kommentare.
    Auch Åke Leander kommentierte den Wutanfall des Ministerpräsidenten nicht, weder mündlich noch schriftlich. Er quittierte seinen Dienst im Frühjahr 1989 und zog sich in seine Wohnung und zu seinen Freunden im Äther zurück. Er wurde vom damaligen Ministerpräsidenten mit warmem Dank verabschiedet, und niemand hatte später das Gefühl, er könnte als Geist in der Staatskanzlei spuken, nachdem er in aller Stille im Herbst 1998 verschieden war.
     
    Mit diesem Wutanfall begann also alles. Die Geschichte von den Bedingungen der Politik, von der Reise in die Sümpfe, wo Wahrheit und Lüge die Vorzeichen tauschten, so dass am Ende über nichts mehr Klarheit zu erlangen war.

 
TEIL 1
     
    In die Sümpfe

 
1
     
    Als Kurt Wallander fünfundfünfzig geworden war, hatte er sich zu seinem eigenen Erstaunen einen lange gehegten Traum erfüllt. Seit der Trennung von Mona vor fast fünfzehn Jahren hatte er die Wohnung in der Mariagata, wo so viele bedrückende Erinnerungen in den Wänden steckten, verlassen wollen, um aufs Land zu ziehen. Jedes Mal, wenn er nach einem meist trostlosen Arbeitstag nach Hause kam, wurde er daran erinnert, dass er hier mit einer Familie gelebt hatte. Jetzt starrten ihn die allein gelassenen Möbel vorwurfsvoll an.
     
    Er konnte sich nicht mit dem Gedanken abfinden, dort zu leben, bis er vielleicht nicht mehr allein zurechtkäme. Obwohl er ja noch nicht einmal sechzig war, kam ihm immer öfter das einsame Alter seines Vaters in den Sinn. Er brauchte nur beim Rasieren am Morgen sein Gesicht im Spiegel zu betrachten, um einzusehen, dass er ihm immer ähnlicher wurde. Als er jung war, hatte er mehr seiner Mutter geähnelt. Jetzt war es, als würde sein Vater ihn wie ein Läufer einholen, der lange zurückgelegen hatte, sich aber unerbittlich heranarbeitete, je näher er dem unsichtbaren Zielband kam.
    Wallanders Weltbild war ziemlich einfach. Er wollte kein Einsiedler werden, der in mürrischer Einsamkeit alt wurde und höchstens von seiner Tochter Besuch bekam, vielleicht noch von einem seiner früheren Kollegen, dem plötzlich einfiel, dass er noch lebte. Er hegte keine erbaulichen religiösen Hoffnungen, dass ihn jenseits des schwarzen Flussesetwas erwartete. Dort war nur das gleiche Dunkel wie das, aus dem er einst gekommen war. Bis zu seinem fünfzigsten Lebensjahr hatte er eine unklare Todesfurcht empfunden, es war eine Art persönliches Mantra gewesen, dass er so lange tot sein würde. Er hatte in seinem Leben allzu viele Tote gesehen. Es gab kaum etwas in ihren stummen Gesichtern, das darauf hindeutete, dass ihre Seelen von einem Himmel aufgenommen worden waren. In einem düsteren Augenblick, kurz nach seinem fünfzigsten Geburtstag, der mit Torte im Polizeipräsidium und einer mit Standardphrasen gespickten Rede der damaligen Polizeipräsidentin Lisa Holgersson begangen worden war, hatte er in einem eigens dafür gekauften Notizbuch begonnen, sich alle Toten, die er gesehen hatte, in Erinnerung zu rufen. Es war eine makabre Beschäftigung, und er begriff selbst nicht, warum es ihn reizte. Als er zum zehnten Selbstmörder kam, einem Mann in den Vierzigern, einem Süchtigen mit allen Problemen, die man sich vorstellen konnte, gab er auf. Der Mann hatte sich auf dem Dachboden des Abrissgebäudes, in dem er hauste, erhängt. Der Tote, sein Name war Welin, hatte sich so aufgehängt,
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