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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga
Autoren: Henning Mankell
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zu eröffnen. Schon bald brauchte er nicht mehr in dem zugigen und undichten Ruderhaus zu stehen und zu frieren, während Jakobsson auf seiner Pritsche in dem verdreckten Maschinenraum schnarchte. Wie sein neues Leben aussehen würde, wußte er noch nicht, aber trotzdem sehnte er sich danach.
    Plötzlich hörte das Schneetreiben auf, ebenso schnell, wie es begonnen hatte. Zuerst wagte er nicht, an sein eigenes Glück zu glauben. Aber dann begriff er, daß keine Schneeflocken mehr vor seinen Augen vorbeiflimmerten. Vielleicht schaffe ich es doch noch, dachte er. Vielleicht zieht das Unwetter weiter südlich vorbei, in Richtung Dänemark?
    Er goß sich noch einen Kaffee ein und begann, vor sich hin zu pfeifen. An der Wand des Ruderhauses hing die Tasche mit dem Geld. Um weitere dreißigtausend Kronen war Porto Santo nähergerückt, seine kleine Insel bei Madeira. Das unbekannte Paradies, das ihn erwartete   …
    Er wollte gerade noch einen Schluck von dem lauwarmen Kaffee nehmen, als er das Schlauchboot entdeckte. Wenn das Schneetreiben nicht so unerwartet aufgehört hätte, wäre es ihm niemals aufgefallen. So aber schaukelte es in nur fünfzig Meter Entfernung backbord auf den Wellen. Es war ein rotes Rettungsboot. Er wischte die beschlagene Scheibe mit dem |8| Ärmel seiner Jacke frei und kniff die Augen zusammen, um das Boot zu fixieren. Es ist leer, dachte er. Es hat sich von einem Schiff losgerissen. Er drehte bei und verlangsamte die Fahrt. Jakobsson erwachte mit einem Ruck, weil das Geräusch des Dieselmotors sich geändert hatte. Sein unrasiertes Gesicht tauchte aus dem Maschinenraum auf.
    »Sind wir da?« fragte er.
    »An Backbord liegt ein Boot«, sagte Holmgren, der Mann am Steuer. »Ich dachte, wir könnten es an Bord holen. Es ist bestimmt ein paar Tausender wert. Übernimm du das Ruder, dann hole ich den Bootshaken.«
    Jakobsson stellte sich ans Steuer, während Holmgren sich die Mütze über die Ohren zog und das Ruderhaus verließ. Beißend kalter Wind schlug ihm ins Gesicht, und er hielt sich an der Reling fest, um die Wellen zu parieren. Das Boot kam langsam näher. Er begann, den Bootshaken loszumachen, der zwischen dem Dach des Ruderhauses und dem Spill festgezurrt war. Seine Finger wurden klamm, während er an den gefrorenen Knoten zerrte. Endlich bekam er den Bootshaken los und wandte sich um.
    Er fuhr zusammen. Das Boot lag jetzt nur noch ein paar Meter vom Rumpf des Fischerbootes entfernt, und er erkannte, daß er sich geirrt hatte. Das Boot war nicht leer. Zwei Menschen befanden sich darauf. Zwei tote Menschen. Jakobsson rief vom Ruderhaus her etwas Unverständliches. Auch er hatte die Toten entdeckt.
    Es war nicht das erste Mal, daß Holmgren einen Toten sah. Einmal in seiner Jugend, als er seinen Wehrdienst leistete, war während eines Manövers eine Artilleriegranate explodiert und hatte vier seiner Kameraden in Stücke gerissen. Auch später, während der vielen Jahre als Fischer, hatte er Leichen gesehen, die an Land gespült worden waren oder im Wasser umhertrieben.
    In dem Boot lagen zwei Männer. Holmgren fiel sofort auf, daß sie eigentümlich gekleidet waren. Es waren offensichtlich |9| weder Fischer noch Matrosen. Sie trugen Anzüge und Krawatten und lagen eng umschlungen, als hätten sie versucht, sich gegenseitig vor dem Unausweichlichen zu schützen. Er versuchte sich vorzustellen, was geschehen war. Wer konnten sie sein? Inzwischen war Jakobsson aus dem Ruderhaus geeilt und stellte sich neben ihn.
    »Mist«, sagte er. »Verdammter Mist. Was sollen wir jetzt tun?«
    Holmgren dachte kurz nach.
    »Nichts«, antwortete er. »Wenn wir sie an Bord nehmen, bringt uns das nur eine Menge unangenehmer Fragen ein. Wir haben sie ganz einfach nicht gesehen. Schließlich schneit es.«
    »Sollen wir sie einfach so treiben lassen?« fragte Jakobsson zweifelnd.
    »Ja«, antwortete Holmgren. »Sie sind tot. Wir können nichts mehr für sie tun, und ich habe keine Lust zu erklären, woher wir mit unserem Boot kamen. Du etwa?«
    Jakobsson schüttelte unschlüssig den Kopf. Schweigend betrachteten sie die toten Männer. Holmgren dachte, daß sie jung waren, nicht älter als dreißig. Ihre Gesichter waren weiß und starr, und Holmgren schauderte.
    »Komisch, daß kein Name auf dem Boot steht«, sagte Jakobsson. »Von welchem Schiff es stammt.«
    Holmgren nahm den Bootshaken und manövrierte das Boot mit ihm so, daß sie es von allen Seiten sehen konnten. Jakobsson hatte recht. Es gab keinen
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