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Wallander 02 - Hunde von Riga

Wallander 02 - Hunde von Riga

Titel: Wallander 02 - Hunde von Riga
Autoren: Henning Mankell
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letztes Jahr eines Nachts im Zustand geistiger Verwirrung und nur mit einem Schlafanzug bekleidet auf einen Spaziergang begeben hatte, war es für Kurt Wallander zur Gewohnheit geworden, ihn täglich anzurufen. Er dachte, daß er damit nicht zuletzt sich selbst einen Gefallen tat. Er hatte ständig ein schlechtes Gewissen, weil er ihn so selten besuchte. Aber nach dem Vorfall im letzten Jahr hatte sein Vater eine Haushaltshilfe bekommen, die ihm regelmäßig zur Hand ging, was die zeitweise unerträglichen Launen seines Vaters gebessert hatte. Trotzdem nagte es an seinem Gewissen, daß er ihm viel zuwenig Zeit widmete.
    Kurt Wallander nahm ein Bad, machte sich ein Omelett, telefonierte mit seinem Vater und ging dann schlafen. Bevor er die Rolladen des Schlafzimmerfensters herunterließ, sah er auf die leere Straße hinaus. Eine Straßenlaterne schaukelte in dem böigen Wind. Vereinzelte Schneeflocken tanzten vor seinen Augen. Das Thermometer zeigte drei Grad unter Null. Vielleicht war das Unwetter ja weiter südlich vorbeigezogen? Er ließ die Rolladen mit einem Krachen heruntersausen und kroch unter die Decke. Kurz darauf war er eingeschlafen.
     
    Am nächsten Tag fühlte er sich ausgeruhter. Bereits um Viertel nach sieben war er in seinem Arbeitszimmer im Polizeipräsidium. Abgesehen von einigen kleinen Autounfällen war die Nacht erstaunlich ruhig verlaufen. Der Schneesturm hatte schon wieder aufgehört, ehe er richtig begonnen hatte. Wallander |16| ging in die Kantine, nickte einigen müden Verkehrspolizisten zu, die über ihren Kaffeetassen saßen, und holte sich dann selbst eine Tasse. Schon beim Aufwachen hatte er beschlossen, den Tag zu nutzen, um ein paar liegengebliebene Berichte abzuschließen. Unter anderem ging es um eine schwere Körperverletzung, in die einige Polen verwickelt waren. Wie immer schob es jeder auf jeden. Außerdem gab es keine glaubwürdigen Zeugen, die übereinstimmende Aussagen hätten machen können. Aber der Bericht mußte geschrieben werden, obwohl ihm klar war, daß sie den Schuldigen nicht ausmachen konnten und die Zertrümmerung eines Kieferknochens unbestraft bleiben würde.
    Um halb elf schob er den letzten Bericht beiseite und holte sich noch einen Kaffee. Auf dem Rückweg in sein Büro hörte er das Telefon auf seinem Schreibtisch klingeln.
    Es war Martinsson.
    »Erinnerst du dich an das Rettungsboot?« fragte Martinsson.
    Wallander mußte ein paar Sekunden nachdenken, ehe ihm einfiel, was Martinsson meinte.
    »Unser Anrufer wußte, wovon er sprach«, fuhr Martinsson fort. »Bei Mossby Strand ist ein Rettungsboot mit zwei Leichen an Land getrieben worden. Eine Frau, die mit ihrem Hund draußen war, hat es entdeckt. Sie rief an und war völlig hysterisch.«
    »Wann hat sie angerufen?« fragte Wallander.
    »Gerade eben«, antwortete Martinsson. »Vor dreißig Sekunden.«
    Zwei Minuten später war Wallander auf der Küstenstraße in Richtung Westen unterwegs nach Mossby Strand. Er hatte seinen eigenen Wagen genommen. Vor ihm fuhren Peters und Norén in einem Einsatzwagen mit heulenden Sirenen am Meer entlang, und Wallander schauderte, als er sah, wie sich die kalten Wellen am Strand brachen. Im Rückspiegel erkannte er einen Krankenwagen und dahinter Martinsson in einem weiteren Einsatzwagen.
    |17| Mossby Strand war menschenleer. Der Kiosk war verrammelt, und die Schaukeln schlenkerten und quietschten an ihren Ketten. Als er aus dem Auto stieg, spürte er den kalten Wind im Gesicht. Oben auf der grasbewachsenen Düne stand eine einsame Gestalt und fuchtelte mit dem Arm in der Luft herum. Neben ihr zerrte ein Hund ungeduldig an seinem Halsband. Wallander ging etwas schneller. Wie immer hatte er Angst vor dem, was er zu sehen bekommen würde. Der Anblick toter Menschen würde ihn immer berühren, niemals würde er sich daran gewöhnen. Tote Menschen waren wie lebende, sie waren immer verschieden.
    »Da vorn!« schrie die Frau, die völlig außer sich war. Wallanders Blick folgte ihrer ausgestreckten Hand. In Ufernähe schaukelte ein rotes Rettungsboot. Es war neben dem langen Badesteg zwischen zwei Steinen steckengeblieben.
    »Warten Sie hier«, sagte Wallander zu der Frau.
    Dann stolperte er den Hang hinunter und lief über den Strand. Er ging auf den Steg hinaus und sah auf das Rettungsboot hinab. Zwei tote Männer lagen dort, umschlungen, bleich. Er versuchte, alles, was er sah, wie ein Foto zu fixieren. Während seiner vielen Jahre als Polizist hatte er gelernt, daß der
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