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Wald der Masken

Wald der Masken

Titel: Wald der Masken
Autoren: Horst Hoffmann
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überzogen. An einer Stelle funkelte es darin wie vier strahlende Augen.
    Es waren Augen.
    »Oh, nein!« stöhnte Ilfa.
    Mythor warf verzweifelt den Kopf in den Nacken und versuchte vergebens, seine Hände vom klebrigen Netz zu lösen. Es war in einer Tiefe von vielleicht drei Körperlängen quer durch die Bodenspalte gespannt. Oben an ihrem Rand erschien jetzt der Schädel des Marmornen.
    Und die vier funkelnden Augen bewegten sich. Die armdicken, schwarzen und behaarten Beine der Riesenspinne legten sich auf das Netz und tasteten sich langsam vor.
*
    Ilfa hatte so über Mythors Schulter gelegen, daß ihr Oberkörper nach vorne baumelte. Beim Sturz in das Netz war so eine ihrer Hände freigeblieben. Cobor war noch bewußtlos und keine Hilfe. Roar verstrickte sich beim Versuch, sich zu befreien, immer tiefer in die Maschen.
    »Kannst du an meinen Dolch kommen, Ilfa?« fragte Mythor heiser.
    »Ich versuche es, aber bewege dich nicht mehr.«
    »Schleudere ihn zwischen die Augen!«
    Selbst falls sie es schaffte, die Spinne zurückzutreiben, waren sie hier gefangen. Sie würden verhungern und verdursten. Dort vorne kam das Untier heran, oben am Rand der Spalte wartete der Marmorne, und was sich noch alles in der Tiefe verbarg, wollte Mythor gar nicht erst wissen. Wie er es auch drehte und wendete, ohne Hilfe waren sie verloren. Wenn Roar das Netz nicht zu zerreißen vermochte, wer sollte es dann tun? Mythor bezweifelte, daß es sich durchschneiden ließ.
    Ilfa berührte den Griff des Dolches mit zwei Fingern, als das Netz heftig federte. Die Riesenspinne griff an. Die funkelnden Augen schienen so groß wie Teller zu werden, und vor ihnen schnappten zwei gräßliche Beißzangen zusammen. Ilfa schrie auf, bekam den Dolch in einer verzweifelten Anstrengung zu fassen, schleuderte ihn und verfehlte.
    Die Spinne setzte zwei Beine auf Mythors Brust, gleich neben Ilfas Kopf. Jetzt gab es keine Gegenwehr mehr. Mythor schloß die Augen, um nicht sehen zu müssen, wie die Beißzangen sich herabsenkten und zuschnappten. Er spürte nur die Bewegungen des Netzes, und er wünschte sich, daß die Gefährten und er im Kampf gegen den Marmornen einen gnädigeren Tod gefunden hätten.
    Dann aber erfüllte ein schriller Schrei die Spalte. Etwas schlug schwer in das Netz und durchstieß es. Mythor riß die Augen auf und sah den Steinernen mit der Spinne in der Tiefe verschwinden. Er konnte noch erkennen, wie eine Faust des Geschöpfs den Körper des Untiers zertrümmerte, hörte einen letzten Schrei und dann das Aufschlagen von Stein auf Stein. So dumpf, wie es sich anhörte, mußte der Marmorne in seiner Umklammerung mit der Beherrscherin dieser Spalte zehn oder mehr Mannslängen tief gestürzt sein.
    Es war totenstill, bis Ilfa wieder zu atmen wagte. Roar erwachte gleichzeitig aus seiner Starre, warf sich wieder wütend herum, und diesmal gab das Netz nach. Mythor wollte eine Warnung schreien, doch die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Er konnte nichts tun. Einmal an einer Stelle durchbrochen, teilte das Spinnennetz sich unter dem Gewicht der Freunde. Es riß genau in der Mitte. Mythor und Ilfa fielen nach einer Seite, Roar und Cobor nach der anderen. Mythor kauerte sich zusammen, um den Aufschlag an der Wand abzumildern. Dennoch raubte er ihm fast das Bewußtsein. Roars Gebrüll und Ilfas Schreie waren die einzigen Beweise dafür, daß sie noch lebten. Als die farbigen Schleier vor Mythors Augen verschwanden und er wieder sehen konnte, hingen er und die Gefährtin an einigen Fäden des aufgelösten Netzes, die sich selbst jetzt nicht von dort gelöst hatten, wo sie an der Wand verankert waren.
    Aber Mythor hatte wieder einen Arm frei! »Ilfa!«
    Sie verstummte. Er blickte in tränengefüllte Augen.
    »Wir kommen nicht los, Mythor«, klagte sie. »Es hat sich nichts geändert. Es wird noch mehr Spinnen hier geben, und sie…«
    »Hör zu – und du auch, Roar!« sagte Mythor. »Wir hängen noch sicher an den Wänden der Spalte. Von unten ist nichts mehr zu hören. Der Marmorne muß mit der Spinne in den Tod gestürzt sein. Er hat uns gerettet, ohne es zu wollen, und ist auf dem Grund der Spalte zersplittert.« Er holte Luft. Es stank furchtbar, was er erst jetzt merkte. Wie viele Tierkadaver, die der Spinne ins Netz gegangen waren, mochten dort in der Tiefe liegen?
    »Wir können nicht bis zum Grund sehen«, fuhr er fort. »Aber zwei Mannslängen unter uns zieht sich eine Felsleiste dahin, die breit genug für uns wäre. Wenn wir dort
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