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Wainwood House - Rachels Geheimnis

Wainwood House - Rachels Geheimnis

Titel: Wainwood House - Rachels Geheimnis
Autoren: Sarah Stoffers
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Als sie Seite an Seite die Küche betraten, der gestrenge Butler und das verwahrloste Mädchen, verwandten alle Anwesenden viel Mühe darauf, beschäftigt zu wirken. Es fiel kein Wort. Es wurde nicht gescherzt, niemand schimpfte und es flogen auch keine Befehle über den großen Tisch hin und her wie für gewöhnlich. Im ganzen Raum herrschte dröhnendes Schweigen. Das Scheppern der Töpfe hallte nur umso lauter darin nach. Frost zweifelte nicht im Geringsten daran, dass bis zu seinem Eintreten noch emsig blutrünstiges Geschwätz über Ausländer im Allgemeinen und Zigeuner im Besonderen ausgetauscht worden war. Er überließ das Mädchen der Wirtschafterin Mrs Chambers und machte sich auf den Weg in den Salon, um endlich den gewohnten Tagesablauf aufzunehmen.
    Als die Herrschaften am Frühstückstisch saßen und die Betten gemacht wurden, breitete sich das Gerücht über Janes Ankunft von Zimmer zu Zimmer aus. Es wurde über Silberplatten hinweg geraunt und mit einem eiligen Schluck Tee heruntergespült. Es flirrte über die glatt gestrichenen Bettlaken und wurde beim Boden schrubben mit energischen Bürstenstrichen auf den Dielen verteilt. Dabei vermengten sich Beobachtungen mit Mutmaßungen, Tatsachen mit Spekulationen und verwandelten die Neuigkeit in bloßes Geschwätz. Die Küchenmädchen wussten beim Abwasch zu berichten, dass eine dunkelhäutige Zigeunerin in der Wäschekammer eingesperrt worden war, bis die Büttel eintrafen. Sie sollte dabei ertappt worden sein, wie sie das Silber in ihrer Reisetasche fortschaffte. Einer der Hausdiener widersprach dem entschieden. Gewiss sei es keine Zigeunerin gewesen, sondern eine Inderin, die sich in einen farbenprächtigen Schal ihrer Heimat gehüllt hatte. Und sie hatte keine Silberlöffel gestohlen, sondern einen Brief! Die Zofe ihrer Ladyschaft erklärte dem Kammerdiener im Treppenhaus, dass die Fremde so alt sei, als wäre sie schon beim Bau von Noahs Arche dabei gewesen. Und das oberste Hausmädchen wusste dem Chauffeur zu berichten, dass das arme Ding in Wahrheit noch ein halbes Kind sei und es lediglich etwas frisches Gebäck stibitzt hatte. Einigkeit herrschte allein in zwei Punkten: die Fremde war keine Engländerin! Und sie hatte zweifellos ein ruchloses Verbrechen begangen, und sei es nur der Diebstahl eines Milchbrötchens! Während die erste Annahme zumindest zur Hälfte zutraf, entsprang die zweite nackter Sensationslust. Einige der Dienstboten waren bereits in großen Städten in Stellung gewesen, doch die meisten hatten immer nur auf dem Land gelebt und nicht die geringste Ahnung von dem ungeheuerlichen Ausmaß des britischen Empires. Die Vorstellung von einem fremdländischen Mädchen in ihrer Wäschekammer barg mehr Exotik als selbst der italienische Count, der vor zwei Jahren zu Besuch gewesen war und dessen Akzent das Gesinde noch Wochen nach seiner Abreise mit Gesprächsstoff versorgt hatte.
    Gemäß dem unumstößlichen Gesetz, dass das Personal lange vor seiner Herrschaft über jede Neuigkeit im Bilde war, drang die Kunde von Janes Ankunft nicht bis an den Frühstückstisch der Familie vor. Der Kam merdiener war beim Ankleiden nicht schnell genug gewesen, um sie seinem Herrn über die Schulter hinweg zuzuraunen. Und obgleich der brave Mann dieses Versäumnis zutiefst bedauerte, blieb Charles Goodall auf diese Weise noch bis zum Ende des Frühstücks um halb zehn von dem allgemeinen Aufruhr unbehelligt.
    Charles Goodall war der sechzehnte Earl of Derrington und das genügsame Oberhaupt der Familie und des Hauses. Er pflegte keine absonderlichen Marotten und ließ die Finger von den Dienstmädchen. Er entfachte keine Skandale und zeigte sich niemals leidenschaftlicher als bei einem frohgemuten Jagdruf. Er vergeudete weder das Erbe seiner Kinder noch den Respekt seiner Untergebenen. Allerdings verbat sich Lord Derrington jede Form von Unabwägbarkeiten und bestand auf ein ungestörtes Frühstück. Unangenehme Neuigkeiten, so sie sich denn nicht vermeiden ließen, sollten ihn niemals vor der dritten Tasse Tee ereilen. Auch an diesem Morgen saß seine Familie fast vollständig um den Esstisch versammelt. Natürlich versorgte die Gouver nante den kleinen Benjamin im Kinderzimmer und wie üblich frühstückte seine Frau im Bett. Doch die älteren Kinder speisten mit ihm zusammen. Zu seiner Rechten heckte Julian flüsternd etwas mit der jüngeren Tochter Penelope aus, während ihre Schwester Claire mit der ihr eigenen morgendlichen Unlust den Toast
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