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Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman

Titel: Wahrheit Meines Vaters, Die: Roman
Autoren: Jodi Picoult
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sein.«
    Ich erzähle Fitz von dem Zitronenbaum. Ich schildere ihm das Gefühl, das ich damals hatte, als würde mir die Hitze eine Krone aufsetzen, und daß die Erde, in die der Baum eingepflanzt wurde, rot wie Blut war. Daß ich auf meinen Schuhsohlen die Buchstaben ABC lesen konnte.
    Fitz hört aufmerksam zu, die Arme vor der Brust verschränkt, und betrachtet mich mit der gleichen Nachdenklichkeit wie damals, als ich zehn war und ihm gestand, ich hätte den Geist eines Indianers am Fußende meines Bettes hocken sehen, im Schneidersitz.
    »Tja«, sagt er schließlich, »wenigstens hast du nicht erzählt, du hättest einen Reifrock angehabt oder mit einer Muskete geschossen. Vielleicht erinnerst du dich ja einfach an irgendwas aus diesem Leben, etwas, das du vergessen hast. Es gibt da jede Menge Forschungsprojekte, die sich mit wiedererlangter Erinnerung befassen. Ich könnte ein bißchen für dich recherchieren, mal sehen, was ich zutage fördere.«
    »Ich dachte, bei wiedererlangten Erinnerungen geht es um Traumata. Was ist traumatisch an Zitrusfrüchten?«
    »Was es gibt«, lacht er, »ist die Angst vor Gemüse, Lachanophobie. Da wird's bestimmt auch eine kleine Phobie vor Zitrusfrüchten geben.«
    »Was haben deine Eltern eigentlich für dein Elitestudium hingeblättert?«
    Fitz grinst und nimmt Gretas Leine. »Also, wohin soll ich gehen?«
    Er weiß, wie das läuft. Er wird sein Sweatshirt ausziehen und unten an der Treppe liegenlassen, damit Greta seine Witterung aufnehmen kann. Dann marschiert er los und legt durch Straßen und Gassen und Wald eine Strecke von drei oder fünf oder zehn Meilen zurück. Ich gebe ihm fünfzehn Minuten Vorsprung, und dann machen Greta und ich uns an die Arbeit. »Wohin du willst«, erwidere ich, überzeugt, daß wir ihn finden, wohin er auch geht.
    Einmal fanden Greta und ich auf der Suche nach einem Ausreißer nur noch dessen Leiche. Ein toter Körper hört sofort auf, wie ein lebender zu riechen, und als wir uns näherten, wußte Greta, daß irgend etwas nicht stimmte. Der Junge hing am Ast einer dicken Eiche. Ich fiel auf die Knie, hatte Mühe zu atmen, fragte mich, wieviel früher ich hätte da sein müssen, um es zu verhindern. Ich war so mitgenommen, daß ich erst nach einer Weile Gretas Reaktion bemerkte: Sie drehte sich im Kreis und winselte; dann legte sie sich hin und bedeckte mit den Pfoten ihre Nase. Zum ersten Mal hatte sie etwas aufgespürt, das sie lieber nicht gefunden hätte, und sie wußte nicht, wie sie sich daraufhin verhalten sollte.
    Fitz führt uns über eine abwechslungsreiche Route: vom Pizzaladen über die Main Street von Wexton, dann hinter der Tankstelle vorbei, über einen schmalen Bach und einen steilen Hang hinunter an den Rand eines Wasserfalls. Als wir bei ihm sind, haben wir sechs Meilen zurückgelegt, und ich bin durchnäßt bis zu den Knien. Greta spürt ihn hinter einer Gruppe von Bäumen auf, deren feuchte Blätter wie Münzen glitzern. Er nimmt den Stoffelch, mit dem Greta gern Apportieren spielt - eine Belohnung für ihre Arbeit - und wirft ihn in hohem Bogen weg, damit sie ihn zurückholt. »Kluges Mädchen«, ruft er. »Ja, wo ist denn mein kluges Mädchen?«
    Wir gehen zurück zu ihm nach Hause, wo mein Wagen steht, und ich fahre gleich los, um Sophie vom Kindergarten abzuholen. Während ich draußen warte, bis der Kindergarten aus ist, nehme ich die Perlenkette ab. Es sind zweiundfünfzig Perlen, eine für jedes Jahr, die meine Mutter auf der Erde wäre, wenn sie noch leben würde. Ich lasse sie langsam durch die Finger gleiten, wie einen Rosenkranz, und bete -daß Eric und ich glücklich sein werden, daß Sophie behütet aufwachsen wird, daß Fitz einen Menschen findet, mit dem er Zusammensein möchte, daß mein Vater gesund bleibt. Als ich damit fertig bin, fange ich an, mit jeder Perle eine Erinnerung zu verknüpfen. Der Tag, an dem sie mit mir in den Streichelzoo gegangen ist, eine Erinnerung, die ich allein um das Foto herum aufgebaut habe, das ich neulich abend in dem Album gesehen habe. Ein ganz schwaches Bild von ihr, wie sie barfuß in der Küche tanzt. Das Gefühl ihrer Hände auf meiner Kopfhaut, wenn sie mir die Haare wusch.
    Dann noch ein Erinnerungsblitz, wie sie auf dem Bett weint.
    Sophie möchte dem Hund das Brettspiel Trouble beibringen. Sie hat im Fernsehen eine Wiederholung der Serie Mr. Ed gesehen und glaubt, daß Greta schlauer als jedes Pferd ist. Und zu meiner Verblüffung nimmt Greta die Herausforderung an.
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