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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
Autoren: Klaus Scherer
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verfassungsgemäß halte. Hatte mir nicht derselbe Brzezinski einmal erklärt, dass Obama ein politisches Jahrhunderttalent sei? Da rühmte er dessen Überzeugungskraft und sein Gespür für den historischen Moment.
    Hoffnung, Sorge, Skepsis – all das prägte Obamas Amtszeit. Doch Amerikas Politik regte die Welt schon immer auf. Als ich mit meiner Familie nach Washington zog, das Korrespondentenvisum druckfrisch im Reisepass, da neigte sich gerade die Amtszeit George W. Bushs dem Ende zu. Der junge Wahlkämpfer Barack Obama erschien da wie ein Erlöser. Doch kaum begann er zu regieren, schlug ihm der Unmut aufgebrachter Bürger wild entgegen. Der US-Kongress fuhr seitdem Achterbahn, die Wirtschaftsprognosen wechselten. Dennoch drückte Obama Reform um Reform durch. Und nun, da seine mögliche Wiederwahl näher rückt, malt ein so überzeugter Wegbegleiter wie Brzezinski erneut Amerikas Niedergang an die Wand? Wer soll das noch verstehen?
    Aber der Reihe nach.
    »Amerika begreifen«
     
    »Sie müssen ziehen, Sir«, sagt die freundliche Stimme am Telefon nach der Ankunft im Hotel in Washington. Dabei glaubte ich bereits, so ziemlich alle Wasserhahnvarianten dieser Welt zu kennen. Das Badetuch schon umgebunden, bereit für die ersehnte Dusche, bedanke ich mich. Obwohl ich auch ziehen längst probiert habe, so sehr, dass mir schon fast die Wand entgegenkam.
    Die Folgetage erscheinen ähnlich befremdlich, samt der Fragen, die man nun wiederum mir stellt. »Beabsichtigen Sie, hier terroristische Aktivitäten durchzuführen?«, will die Einreisebehörde wissen. »Was verursacht mehr Verkehrsunfälle? A: das Auto? B: der Fahrer? C: die Straße?«, lese ich bei der Führerscheinprüfung. »Wir haben über Lichtschalter und Steckdosen gestrichen. Das war hier vorher auch schon so. Stört Sie das?«, höre ich von Handwerkern.
    Willkommen in Amerika. Dem Land, das zu begreifen von nun an meine Hauptaufgabe ist.
    »Wie sind die eigentlich so, die Amerikaner?«, werde ich von Deutschen seitdem oft gefragt. Nett, sage ich dann. Supermarktkassiererinnen nennen dich »Darling«, obwohl du ihnen zuvor nie begegnet bist. Und wenn dein Auto streikt, kommen sie schon mit dem Starthilfekabel an, bevor du danach fragen konntest. Kellner loben noch deine gewöhnlichste Bestellung als »exzellente Wahl« oder, noch besser, als »cool«. Nur die Servicezentralen von Firmen und Behörden sind weniger freundlich. Die geben dir schnell zu verstehen, dass dein Anruf eher stört.
    Zudem ist ihr Land unfassbar groß. In jeder Linienmaschine sitzt ein Passagier mit Pelzmütze und einer mit Flipflops. Vom Heck ihrer Feuerwehrautos weht das Sternenbanner, als hätten sie gerade erst den Staat gegründet – dessen monströse Machtfülle sie wiederum beklagen, sobald das Feuer gelöscht ist. Denn sie fürchten nichts mehr als den Sozialismus.
    Dabei sind sie ihm näher, als sie ahnen: Sie nennen ihr Land das freieste der Welt, aber nirgendwo stehen mehr Stoppschilder, manche sogar vor simplen Kurven. Einmal ertappte ich mich schon dabei, dass ich vor einem wartete, als würde es noch grün.
    Die Staubsauger, die sie benutzen – lärmende, sperrige Monster –, möchte man ihnen schon vor die Füße werfen, bevor man sich damit über einen Treppenbelag hat quälen müssen. Ihr wahres Leibgericht, der Hot Dog, erinnert fatal an die geschmacksneutrale, wässrige Ketwurst der späten DDR. Der einzige Ausgehkomplex am Wasser, den die Potomac-Stadt Washington zu bieten hat, ein hilfloser Murks aus Plattenbau, Erkerchen und Springbrunnen, hätte auch Erich Honecker gefallen. Und wer in der Weltmacht-Kapitale nach neun Uhr abends ein Taxi für Gäste braucht, kann zwar eines bestellen, aber kommen wird es nie.
    Trotzdem sollte man sie nicht unterschätzen. Denn zwischendurch erfinden sie immer mal wieder Kleinigkeiten wie das Internet. Und auch wenn sie tausendmal den Klimawandel leugnen: Ein nationales Tempolimit haben sie hinbekommen. Wir nicht.
    Ja, Fragen an Amerika gibt es genug, sobald man es betreten und sich eingerichtet hat. Die meisten wären mit einem Augenzwinkern zu ertragen. Wer als Fremder nach Deutschland kommt, wird ähnliche Widersprüche und Merkwürdigkeiten finden.
    Nun ist fragen aber mein Beruf. Und die Rätsel, die Amerika uns derzeit stellt, reichen über Banalitäten weit hinaus. Die Welt sorgt sich um die Amerikaner, denn viele verstehen von außen kaum noch, was sie treibt – und wohin es sie treibt. Die häufigste Reaktion
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