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Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)

Titel: Wahnsinn Amerika: Innenansichten einer Weltmacht (German Edition)
Autoren: Klaus Scherer
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Washingtoner Wahnsinn derart von Untiefen, Machtstrudeln und Medienwirbeln umgeben, dass ihm kaum Raum zum Schwimmen bleibt.
    Worauf dieses Buch baut, sind Eindrücke und Erfahrungen eines Korrespondenten seit dem Ende der letzten Amtszeit George W. Bushs. Es verarbeitet Gespräche und Reiseerlebnisse, Analysen und Alltagsepisoden aus fünf Reporterjahren in und vor allem jenseits von Washington. Darunter sind großartige Momente und amüsante, schockierende und schicksalhafte. Oft dachte ich in diesen Jahren, ich habe es mit Symptomen – im Wortsinn: vorübergehenden Eigentümlichkeiten – einer kränkelnden Supermacht zu tun. Wobei nicht immer klar ist, was dem amerikanischen Patienten womöglich angeboren ist, wie etwa der Hang zu Kapitalismus in Reinkultur und zur ewigen Superlative einer Ausnahme-Nation, und was tatsächlich nur zu befristeten Auffälligkeiten zählt, wie das zeitweilige Übermaß an Tea-Party-Einfluss. Dennoch: Das Bild, das sich mir als Berichterstatter bot, mag das einer zunehmend verunsicherten und aufgeregten Supermacht sein. Aber auch stets das eines, in jeder Hinsicht, aufregenden Landes.

1    Weite Welt
Im Riesenreich
     
    Es ist ein Tag im Herbst, an dem Amerika mich endlich packt. Sonnig, windig, schnelle Wolken über zitterndem Präriegras. Wir haben den Bundesstaat Montana durchkreuzt, zwischen schneegekrönten Höhenzügen der Rocky Mountains, entlang wilder Flüsse, Seen und Felsen. Dann, plötzlich, bricht die Landschaft weg. Wie ein riesiges Tuch, das sich von den Kanten eingemummten Mobiliars zu Boden neigt, sinkt das Land ostwärts in die Tiefe, hinunter zu den Great Plains, den Großen Ebenen.
    »Big Sky Country« – Land des großen Himmels – steht auf den Nummernschildern der Pick-up-Trucks, denen wir hier gelegentlich begegnen. Jetzt erst verstehe ich, was es bedeutet.
    Noch bevor uns die Landstraße windungsreich auf das Prärie-Plateau hinabführt, um fortan nur noch schnurgerade Richtung Horizont zu weisen, gesäumt von schiefen Telegrafenmasten, halte ich den Wagen an und lasse meine Blicke wandern. Was für eine weite Welt.
    Wie habe ich auf diesen Moment gewartet. Mich gesorgt, er könne ausbleiben oder dem Vergleich mit der Vergangenheit nie standhalten. Denn hinter mir liegen aufregende Reporterjahre in Fernost, die Exotik Asiens, paradiesische Südseeatolle, die schillernden Eiswüsten der Arktis.
    Im Sommer des Jahres bin ich in Washington angekommen, um wie meine Vorgänger den Deutschen Amerika nahezubringen. »Rechne damit, dass dich kein Land erwartet«, hatte mir mein Kollege und Vorgänger Tom Buhrow mit auf den Weg gegeben, »sondern ein Kontinent.« Aber so sichtbar wie hier, zwischen den Großlandschaften Nordamerikas, hatte ich das nie erleben können. Als Schüler hatte ich New York bestaunt und später die Küste Kaliforniens, den Grand Canyon und Las Vegas. Und als junger Journalist bald im Land recherchiert, ob für Großstadtgeschichten aus Los Angeles oder über neue Waffen des Pentagon. Ich war beeindruckt, jedes Mal. Aber begeistert?
    Zudem wurde ich bisher ziemlich verwöhnt. Als Fernost-Korrespondent bereiste ich Japan, Süd- und Nordkorea, die Philippinen und den Pazifik, von Fidschi bis Tahiti – Weltgegenden voller Gegensätze, deren Menschen und Natur wahre Steinbrüche an Reportagestoff bereithielten. Danach habe ich mich für die ARD in Abenteuer stürzen dürfen, die an Augenfutter kaum zu überbieten waren: Reisen auf der Datumsgrenze und dem Polarkreis oder zu den Vulkanketten Kamtschatkas und der Kurilen-Inseln. Allesamt voller Begegnungen jenseits unserer Zeit und Zivilisation. Kurzum: Ich konnte berichten von fremden Welten, die daheim kaum einer kannte.
    Nun also Amerika. Washington. Einschätzungen vorm Weißen Haus. Wahlnächte, Macht und Politik. Mehr noch: Weltmacht, Weltpolitik. Natürlich galt das als höchstes Ziel für einen Journalisten. Aber was würde das Eigentümliche sein, das es von hier aus zu vermitteln galt, außer der politischen Gewichtsklasse des Landes? Verschwammen für uns Europäer, die ohnehin seit meiner Kindheit, seit Kaugummi und Hollywood, auf Annäherungskurs zur Supermacht waren, die Unterschiede nicht ohnehin immer mehr? Auf den ersten Blick stimmte das. Aber ich sollte bald lernen, dass der zweite Blick mehr Unerwartetes, Faszinierendes und Rätselhaftes entdecken würde, als ich erwartet hatte.
    Die Arbeit sollte das nicht einfacher machen. Denn von Amerika hat in Deutschland fast
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