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Wahn - Duma Key

Titel: Wahn - Duma Key
Autoren: Stephen King
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beinahe umgebracht hatte, das rechte Fenster meines Pick-ups ausfüllte, sodass die Welt in der ich immer gelebt hatte, plötzlich von einem Gelb verschluckt wurde, das viel kräftiger war als das von Mrs. Fevereaus Hummer, und schwarze Buchstaben herantrieben, anschwollen, immer größer wurden: LINK-BELT .
    Dann begann auch Gandalf zu kreischen, und die Rückblende - die Dr. Kamen vermutlich als zurückgewonnene Erinnerung bezeichnet hätte - verschwand. Bis zu diesem Oktobernachmittag vor vier Jahren hatte ich nicht gewusst, dass Hunde überhaupt kreischen können .
    Ich verfiel in schwerfälligen Trab, bewegte mich seitwärts wie eine Krabbe und stampfte mit meiner roten Krücke den Gehsteig entlang. Das sah garantiert albern aus, aber niemand achtete im Geringsten auf mich. Monica Goldstein kniete mitten auf der Straße neben ihrem Hund, der vor dem hohen, kastenförmigen Kühlergrill des Hummers lag. Ihr Gesicht über der forstgrünen Uniform, zu der sie eine Schärpe mit Abzeichen und Medaillen trug, war kreidebleich. Das Ende ihrer Schärpe sog sich in der größer werdenden Lache aus Gandalfs Blut voll.
    Mrs. Fevereau verließ den absurd hohen Fahrersitz des Hummers halb springend, halb fallend. Ava Goldstein kam aus der Tür des Goldstein-Hauses gestürzt und rief laut den Namen ihrer Tochter. Mrs. Goldsteins Bluse war nur halb zugeknöpft, und sie war barfuß.
    »Fass ihn nicht an, Schätzchen, fass ihn nicht an«, sagte Mrs. Fevereau. Sie hielt weiter ihre Zigarette in der Hand und paffte nervös daran. »Er könnte beißen.«
    Monica beachtete sie nicht. Sie streichelte Gandalfs Flanke. Der Hund kreischte bei der Berührung erneut auf - es war ein Kreischen -, und Monica bedeckte ihre Augen mit beiden Handballen. Sie begann den Kopf zu schütteln. Das konnte ich nur zu gut verstehen.
    Mrs. Fevereau streckte eine Hand nach dem Mädchen aus, dann überlegte sie es sich anders. Sie machte zwei Schritte rückwärts, lehnte sich an die hohe Seite ihres lächerlich gelben Fahrzeugs und sah zum Himmel auf.
    Mrs. Goldstein kniete sich neben ihre Tochter. »Schätzchen, o Schätzchen, bitte nicht...«
    Gandalf heulte. Und nun konnte ich mich auch wieder an das Geräusch erinnern, das der Kran beim Zurücksetzen gemacht hatte. Nicht das Miep-miep-miep , das er hätte machen sollen (sein akustisches Warnsignal war defekt), sondern das vibrierende Stottern seines Dieselmotors und das Mahlen seiner Raupen, die die Erde fraßen.
    »Gehen Sie mit ihr rein, Ava«, sagte ich. »Bringen Sie sie ins Haus.«
    Mrs. Goldstein legte ihrer Tochter einen Arm um die Schultern und zog sie hoch. »Komm jetzt, Schätzchen. Komm ins Haus.«
    »Nicht ohne Gandalf! « Monica war elf und für ihr Alter sehr verständig, aber in diesem Augenblick war sie auf den Stand einer Dreijährigen zurückgefallen. »Nicht ohne mein Hundchen! « Die Schärpe, deren Ende sich eine Handbreit mit Blut vollgesogen hatte, klatschte an ihren Rock und ließ eine lange Blutspur die Wade hinunterlaufen.
    »Monica, geh rein und ruf den Tierarzt an«, forderte ich sie auf. »Sag ihm, dass Gandalf angefahren worden ist. Sag ihm, dass er sofort kommen muss. Ich bleibe so lange bei deinem Hund.«
    Monica sah mich mit Augen an, aus denen mehr als nur ein Schock sprach. Sie waren verrückt. Aber ich hatte keine Mühe, ihren Blick zu erwidern; ich hatte ihn oft genug in meinem Spiegel gesehen. »Versprechen Sie das? Großes Ehrenwort? Beim Namen Ihrer Mutter?«
    »Großes Ehrenwort, beim Namen meiner Mutter. Geh jetzt!«
    Sie ging mit ihrer Mutter, sah sich noch einmal um und ließ einen weiteren trauernden Jammerlaut hören, bevor sie die Stufen zur Haustür hinaufhastete. Ich kniete mich neben Gandalf, indem ich mich an der Stoßstange des Hummers festhielt und mich auf dieselbe Weise sinken ließ wie neuerdings immer: unter Schmerzen und stark nach links geneigt, während ich versuchte, mein rechtes Knie nicht mehr zu beugen als unbedingt nötig. Trotzdem stieß auch ich einen kleinen Schmerzensschrei aus und fragte mich, ob ich ohne Hilfe je würde aufstehen können. Von Mrs. Fevereau war vermutlich keine zu erwarten; sie stakste breitbeinig an den linken Straßenrand, knickte in der Taille ab, als würde sie sich vor einer königlichen Hoheit verbeugen, und übergab sich in den Rinnstein. Dabei hielt sie die Hand mit der Zigarette seitlich weit vom Körper weg.
    Ich wandte meine Aufmerksamkeit Gandalf zu. Ihn hatte es am Hinterteil erwischt. Sein Rückgrat war
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