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Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)

Titel: Wäre ich du, würde ich mich lieben (German Edition)
Autoren: Horst Evers
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Angstschweiß von Generationen verwirrter, orientierungsloser Grundschulkinder längst mürbe und knorrig geworden, mit seinem gequälten Knarzen die lähmende Stille des Unwissens zu einer Dolby-Surround-Stille machte. Denn die stillste Stille wird noch sehr viel stiller und unheimlicher, wenn zwischendrin ein Boden knarzt. Und dieser Boden knarzte wie ein betrunkener, schnarchender Dachs.
    Es löste Diskussionen aus, als die Spedition vor der Tür stand und ich der Familie gestehen musste, dass ich, einem inneren Drang folgend, bei eBay meine alte Schiefer-Grundschultafel («gut erhalten, wenngleich mit sichtbaren Gebrauchsspuren») ersteigert hatte. Für gerade mal 4 , 72 Euro! Plus dann allerdings noch mal 63 , 50 Euro Versandkosten. Die Familie vertrat die Auffassung, wir bräuchten gar keine Grundschultafel in der Wohnung. Es folgte eine hitzige, unerfreuliche Debatte.
    Im Prinzip war es wie damals, als ich ein Modell der Melkmaschine ersteigerte, mit der ich in meiner Kindheit Kühe melken gelernt hatte. Auch da gab es schon diese halbgare Leier von wegen «Im vierten Stock ohne Tiere braucht man doch so eine Melkmaschine gar nicht wirklich» oder «Wenn du auch noch planst, eine Kuh zu kaufen, gibt es richtig Ärger». Tätä tätä tätä: Das übliche Zeug eben.
    Alles, was recht ist, aber wenn man anfängt, so zu argumentieren, manövriert man sich früher oder später in eine Ecke, wo dann gar keine landwirtschaftlichen Nutzgeräte mehr gekauft werden. Aber egal.
    Niemand wollte oder mochte die Tafel, weshalb ich sie in mein kleines Arbeitszimmer stellen musste.
    Und dann begann es. Nachts hörte man plötzlich grausige, unheimliche Geräusche. Das Knarzen genauso wie dieses schlimme Geräusch nasser Kreide, die quietschend über die Schiefertafel gezogen wird. Ich rannte ins Zimmer, doch da war niemand, nicht einmal Kreide lag da.
    Kurz darauf wurde es allerdings noch unheimlicher. Denn wenn ich morgens erst nach acht ins Zimmer kam, stand links oben an der Tafel mein Name. Der Name des Zuspätkommers. Wie von Geisterhand geschrieben. Vor acht war alles gut. Doch wehe, ich war auch nur eine Minute zu spät, dann stand dort mein Name, und alles an diesem Tag ging schief. Der Bus fuhr mir vor der Nase weg, Geschäfte schlossen Sekunden vor meinem Eintreten, in der Rathauskantine war mein Wunschessen, direkt bevor ich dran war, aus. Immer kam ich zu spät. Bei allem. Und nachts war das geheimnisvolle Quietschen der nassen Kreide noch mal lauter.
    Es stellte sich heraus, dass ein Fluch auf meiner alten Grundschultafel lag. Das jahrelange Leid der Zuspätkommer hatte sich tief in die Seele der Tafel eingefressen.
    Wir ließen einen Exorzisten für Grundschulgegenstände kommen, aber der meinte, es sei zwecklos. Der Fluch des Zuspätkommens sei schlicht unumkehrbar in die Tafel eingebrannt. Nur ihre völlige Zerstörung könne dafür sorgen, dass die, die mit ihr in Kontakt gekommen seien, nicht für alle Zeiten zu spät dran wären.
    Also brachten wir sie schweren Herzens zum Recyclinghof, wo sie verschrottet wurde. Ein Teil meiner Kindheit. Einfach verschrottet.
    So traurig hätte die Geschichte eigentlich enden können. Aber als ich hörte, dass ausgerechnet dieser Recyclinghof den allergrößten Teil der neugewonnenen, also recycelten Rohstoffe für den Bau des neuen Großflughafens Berlin-Brandenburg geliefert hat, bekam ich dann doch ein bisschen ein schlechtes Gewissen.

DIE BLÜTE DES VERFALLS

Der werfe die erste Rolltreppe
    In der Zeitung gibt es wieder einen Bericht über den Flughafen Schönefeld. Man wird demnächst wohl eine weitere Verlegung des Eröffnungstermins bekannt geben. Wahrscheinlich wird es jetzt der Herbst 2014 , oder sie verschieben es doch auf 2015 oder 2016 oder vielleicht gleich nach Leipzig. Zunächst sind sie aber noch damit beschäftigt, die Mängel aufzulisten. Das wird erst mal fünf oder sechs Monate dauern. Mindestens. Ich finde das gut. Das Ganze hätte auch viel schlimmer kommen können.
    Im Sommer 2012 , als dieser Flughafen ja eigentlich hätte eröffnet werden sollen, war schon alles vorbereitet. Einladungen verschickt, Catering organisiert, Kulturprogramm, Luftschau, Kinderfest. Es war alles, alles fertig. Insofern fand ich es einigermaßen umsichtig, dass die Betreiber so vier oder fünf Wochen vor der Eröffnung sich doch einmal den Flughafen angeguckt haben. Wie weit der denn eigentlich ist. War mir sehr sympathisch, weil ich das immer ganz genauso mache. Kurz
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