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Wächter

Wächter

Titel: Wächter
Autoren: Baxter Clarke
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sanft.
    »Welcher motivationale Aspekt …?« Sie verspürte ein plötzliches Unbehagen.
    Sie hatte auch allen Grund gehabt, sich in die Tanks zu flüchten. Myra, ihre einundzwanzigjährige Tochter, hatte nämlich gegen Bisesas Rat geheiratet und sich ganz einem Leben im Weltraum verschrieben. Und Bisesa hatte der notorischen Berühmtheit entfliehen wollen, die sie wegen ihrer besonderen Rolle in der Sonnensturm-Krise erlangt hatte. Obwohl ein Großteil dessen, was sich in jenen Tagen ereignet hatte - sogar die wahre Ursache des Sonnensturms -, eigentlich der Geheimhaltung hätte unterliegen sollen.
    »Wie dem auch sei«, sagte sie, »die Inanspruchnahme eines Hibernaculums war eine öffentliche Dienstleistung. Das wurde mir jedenfalls gesagt, als ich ihnen mein Geld überschrieb. Mein Treuhandvermögen floss in die Erforschung der Techniken, die eines Tages für solche Dinge verwendet werden wie Transplantationsorgan-Konservierung bis zur Besatzung von Sternenschiff-Flügen über mehrere Jahrhunderte. Und in einer Welt, die nach dem Sturm mit dem Wiederaufbau beschäftigt war, hinterließ ich in einem Tank eingefroren einen viel schwächeren ökonomischen Fußabdruck …«
    »Bisesa, es vertreten immer mehr Leute die Ansicht, dass der Hibernaculum-Schlaf im Grunde eine Art sublimierten Selbstmordes sei.«
    Jetzt war sie doch baff. Aristoteles hätte sich subtiler ausgedrückt, sagte sie sich. »Thales«, sagte sie mit fester Stimme. »Wenn ich mit jemandem darüber sprechen muss, ist das meine Tochter.«
    »Natürlich, Bisesa. Benötigen Sie sonst noch etwas?«
    Sie zögerte. »Wie alt bin ich eigentlich?«
    »Äh … Gute Frage. Sie sind ein Kuriosum, Bisesa.«
    »Danke schön.«

    »Sie wurden 2006 geboren, also vor dreiundsechzig Jahren. Und davon muss man noch neunzehn Jahre für die Zeit im Hibernaculum abziehen.«
    »Da waren es noch vierundvierzig«, sagte sie bedächtig.
    »Aber Ihr biologisches Alter ist neunundvierzig.«
    »Ja. Und die anderen fünf Jahre?«
    »Sind die Jahre, die Sie auf Mir verbracht haben.«
    Sie nickte. »Darüber weißt du auch Bescheid?«
    »Das unterliegt einer strengen Geheimhaltung. Aber ich weiß davon.«
    Sie lehnte sich im Sessel zurück, beobachtete die wandernde Elefantenherde und den schimmernden Himmel des Jahres 2069 und versuchte ihre Gedanken zu ordnen.
    »Vielen Dank, Thales.«
    »Es war mir ein Vergnügen.« Als er dann verstummte, schien der Luft irgendetwas entzogen worden zu sein.

{ 5 }
LONDON
    Bella Fingal befand sich gerade im Luftraum über London, als ihre Tochter ihr die schlechte Nachricht aus dem Weltraum überbrachte.
    Bella saß in einem Atlantikflug mit Kurs auf Heathrow in den westlichen Bezirken von London. Doch der Pilot sagte ihr, dass der Anflug sie zuerst nach Osten über das Ziel hinaus und dann wieder nach Westen entlang der Themse führen würde, sodass sie in den Wind drehten. An diesem schönen Märzmorgen breitete die Stadt sich wie ein glitzernder Teppich unter ihr aus. Bella hatte das Flugzeug ganz für sich; es war einer der neuen Scramjets, ein futuristisches Transportmittel für eine fünfundsiebzig Jahre alte Großmutter.
    Doch am liebsten hätte sie diese Reise gar nicht erst angetreten. Die Beerdigung von James Duflot war schon schlimm genug gewesen; und ein Besuch bei der trauernden Familie wäre noch schlimmer. Aber das war ihre Pflicht als Vorsitzende des Globalen Weltraumrates.
    Sie war förmlich über diesen Posten gestolpert, wahrscheinlich eine Kompromissbesetzung durch das überstaatliche Gremium, das den Weltraumrat kontrollierte. In einem Winkel ihres Bewusstseins hatte sie sich gesagt, dass ihr neuer Posten im Grunde eine Honoratiorenstelle war wie die Hochschulkanzler und »Frühstücksdirektoren«, mit denen sie als Veteran des Sonnensturms schon zu tun gehabt hatte. Sie hätte sich jedenfalls nicht vorstellen können, nur wegen solcher unangenehmen, tränenreichen Veranstaltungen um den ganzen Planeten zu fliegen.

    Sie hatte ihre Schuldigkeit eigentlich getan. Sie hätte im Ruhestand bleiben sollen, sagte sie sich mit Bedauern.
    Und als Edna sich dann mit ihrer ebenso schlechten wie seltsamen Nachricht meldete, wurde Bella sich schließlich bewusst, dass sie tatsächlich die Oberbefehlshaberin einer Weltraum-Marine war.
    »Die Späher glauben, dass sie etwas von Bedeutung gefunden haben, Mama. Da ist etwas da draußen - es nähert sich dem Jupiterorbit und geht in eine hyperbolische Flugbahn. Es steht zwar nicht auf der
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