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Wächter

Wächter

Titel: Wächter
Autoren: Baxter Clarke
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Riesenplaneten und beschleunigte dann in Richtung der fernen Sonne und der warmen Welten, die sich an sie schmiegten.

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ABDIKADIR
    2068 (Erde); Jahr 31 (Mir)
     
    Auf Mir wären die ersten Anzeichen der bevorstehenden Strangeness kaum bemerkt worden, wenn sie sich nicht geradezu aufgedrängt hätten.
    Abdikadir reagierte gereizt, als der Angestellte ihn vom Fernrohr wegholte. Es war endlich einmal wieder eine klare Nacht. Die Flüchtlinge der ersten Generation von der Erde beschwerten sich immer über den bewölkten Mir, diesen Flickenteppich von Welt in ihrem Patchwork-Kosmos. In dieser Nacht war die Sicht aber gut, und der Mars zog als leuchtende blaue Erscheinung hoch oben am wolkenlosen Himmel seine Bahn.
    Vor der Unterbrechung durch den Angestellten hatte in der Sternwarte auf dem Dach des Marduk-Tempels stille Geschäftigkeit geherrscht. Das Hauptinstrument war ein Reflektor, dessen großer Spiegel von mongolischen Sklaven unter dem Befehl eines griechischen Gelehrten der Schule von Othic gezogen wurde. Er erzeugte eine deutliche, wenn auch etwas verwackelte Abbildung der Marsoberfläche. Abdi stellte fest, dass seine Angestellten die Schwenkhebel der Teleskopbasis betätigten, um die Drehung der Welt auszugleichen und den Mars im Mittelpunkt von Abdis Blickfeld zu halten. Er kritzelte hastig etwas auf die an seinem Bein geschnallte Tafel; die technische Entwicklung in Alexanders Weltreich war noch nicht so weit fortgeschritten, als dass Fotografie möglich gewesen wäre.

    Er sah deutlich die Polkappen des Mars, die blauen Meere, die ockerfarbenen Wüsten, die kreuz und quer von grünbraunen und blauen Bändern durchzogen wurden und sogar einen Lichtschimmer von den fremden Städten, die vermutlich im erloschenen Krater von Mons Olympus errichtet worden waren.
    Ausgerechnet in der Phase, als er im Labor beschäftigt war und jede Sekunde der Sichtung festhielt, wurde Abdi von dem Angestellten gestört. Spiros war vierzehn, ein Schüler von Othic und ein Mir-Geborener der dritten Generation. Er war ein intelligenter und phantasievoller Junge, neigte aber zur Nervosität und versuchte nun stotternd seine Nachricht an einen Astronomen zu überbringen, der keine zehn Jahre älter war als er selbst.
    »Immer mit der Ruhe, Junge. Hol erst mal tief Luft. Und dann sagst du mir, was los ist.«
    »Die Kammer von Marduk …« Das Herz des Tempels, auf dessen Dach sie beide standen. »Ihr müsst mitkommen, Meister!«
    »Wieso? Was gibt’s denn zu sehen?«
    »Nicht sehen, Meister Abdi - hören .«
    Abdi schaute noch einmal in sein Okular, in dem das blaue Licht des Mars schimmerte. Aber die Aufregung des Jungen war ansteckend. Irgendetwas stimmte nicht.
    Ungelenk stieg er von seinem Sitz am Okular herunter und blaffte einen seiner Schüler an. »Du, Xenia! Du übernimmst hier. Ich will keine Sekunde von diesem Anblick vergeuden.« Das Mädchen eilte zu ihm hin.
    Und Spiros rannte zur Leiter.
    »Hoffentlich ist es das auch wert«, sagte Abdi und folgte dem Jungen.
    Nachdem sie den Abstieg bewältigt hatten, mussten sie wieder ins Innere des Tempels emporsteigen, denn die Kammer des großen Gottes Marduk befand sich im Scheitelpunkt des Gebäudekomplexes. Sie liefen durch ein Labyrinth von Räumen,
die durch in Alkoven flackernde Lampen beleuchtet wurden. Obwohl die Priester den Tempel schon lange verlassen hatten, lag noch immer ein starker Geruch nach Räucherwerk in der Luft.
    Abdi betrat Marduks Kammer und schaute sich um. In der Diskontinuität , dem Ereignis, das die Welt erschaffen hatte, war die Statue zerstört und die Wände waren durch eine enorme Hitzeeinwirkung bis auf den nackten Stein versengt worden. Nur der einst über einen halben Meter hohe Sockel der Statue war noch übrig: er war mürbe und die Kanten abgerundet. Überhaupt war die Kammer ruiniert, als ob hier eine Explosion stattgefunden hätte. Aber Abdi kannte es auch nicht anders.
    Abdi wandte sich an Spiros. »Und? Was gibt es denn so Wichtiges?«
    »Hört Ihr es denn nicht?«, fragte der Junge atemlos. Und dann stand er reglos da und legte die Finger auf die Lippen.
    Und dann hört Abdi es auch. Ein leises Zirpen, fast wie von einer Grille - aber auch zu gleichmäßig für ein solches Insekt. Er warf einen Blick auf den Jungen, der mit großen Augen und vor Furcht erstarrt dastand.
    Abdi ging in die Mitte des Raums. Von hier aus stellte er fest, dass das Zirpen aus einem reich verzierten Schrein drang, der an einer Wand befestigt war. Er
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