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Wächter des Elfenhains (German Edition)

Wächter des Elfenhains (German Edition)

Titel: Wächter des Elfenhains (German Edition)
Autoren: Susanne Gavénis
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bisher absichtlich ignoriert -, und einer von ihnen hielt ein gefährlich aussehendes Springmesser in seiner Hand, mit dem er genüsslich in der Rinde der Eiche herumhackte. Der Anblick des blanken Stahls, der im hellen Licht der Sonne wie der mörderische Fangzahn eines hungrigen Raubtiers glänzte, sich mit der tödlichen Zielstrebigkeit eines zustechenden Skorpions hob und senkte und sich mit einem grässlichen schmatzenden Geräusch in das schutzlose Holz hineinbohrte, trieb Andion würgende Übelkeit die Kehle hinauf.
    Jede Faser seines Körpers war in Aufruhr, schrie ihm zu, sich zurückzuziehen, fort von diesem abscheulichen Instrument der Zerstörung, stattdessen trat er zwei Schritte vor, packte den Jungen am Handgelenk und hielt ihn mühelos davon ab, noch einmal zuzustoßen.
    „Hör auf“, sagte er leise.
    Die drei Jugendlichen fuhren überrascht zu ihm herum. Sie schienen seine Anwesenheit tatsächlich erst jetzt bewusst wahrzunehmen. Andion kannte sie alle drei: Ashton Peat, Kevin Burke und Kenneth Frey, brutale, impulsive Schläger, alle bereits achtzehn und somit ein Jahr älter als er selbst.
    Wie üblich war Kenneth der Kopf der Bande, und er war es auch, der das Messer führte. Im Augenblick jedoch starrte er mit einem Ausdruck verwirrten Unglaubens auf seinem grobschlächtigen Trollgesicht auf die Hand, die seinen Arm festhielt.
    Andion erschrak. Es gab nur eine Sache, die die Nulllinie von Kenneths Intellekt dazu brachte, in die höheren geistigen Regionen einer Nacktschnecke vorzustoßen, nur einen einzigen Lebensinhalt, dem er mit hingebungsvoller Inbrunst und unter Einsatz all seiner Hirnmasse huldigte, und das waren seine Muskeln.
    Er war mühelos in der Lage, auf seinem breiten Kreuz einen kleinen Baum spazieren zu tragen oder im Tauziehen eine halbe Klasse im Alleingang zu besiegen, und es verging kaum ein Moment, in dem der zähe Morast seiner Emotionen nicht vor Bewunderung und Stolz über seine gewaltigen Bizeps in blubbernde Erregung geriet, vor allem wenn es ihm wieder einmal gelungen war, sich mit seinen mächtigen Fäusten bei einem wimmernden Zwölfjährigen Respekt zu verschaffen oder das Pausenbrot eines schreckensstarren Mädchens in den Schulhofstaub zu schnippen. Zweifellos gab es an der gesamten Schule keinen Schüler, der es in einem Ringkampf mit ihm hätte aufnehmen können – und auch nicht viele Lehrer. Und trotzdem konnte Andion ihn so problemlos festhalten, als wäre er nicht stärker als ein zappelndes kleines Kind.
    Hastig ließ er Kenneth los, bevor dessen langsam arbeitendes Gehirn diesen Umstand gänzlich erfasst hatte. Er war schon öfter mit den Dreien aneinandergeraten, und offen zu zeigen, dass er stärker als Kenneth war, würde unweigerlich in einer Katastrophe enden.
    Also versuchte er es noch einmal mit Worten. „Bitte, hör auf damit!“
    Er bemühte sich erst gar nicht, Kenneth zu erklären, welche Qualen er der Eiche, diesem weisen, erhabenen Geschöpf, mit seiner barbarischen, mutwilligen Grausamkeit zufügte. So etwas lag außerhalb jeden Begreifens, zu dem Kenneth fähig war.
    Kenneths Augen verengten sich.
    „Ich kann tun, was ich will, du Freak!“, zischte er.
    Andion zuckte zusammen. Freak ! Das Wort schmerzte ihn kaum weniger als ein Messerstich, obwohl er es schon oft genug gehört hatte. Jeder, wirklich jeder auf dieser Schule nannte ihn so.
    Doch heute ging es nicht um ihn. Er musste die Eiche beschützen. Also schob er sich zwischen die drei Schläger und den Baum.
    Er sagte nichts mehr. Der kurze Moment, in dem Worte etwas genützt hätten, war längst vorüber.
    Kenneth fletschte die Zähne. „Geh mir aus dem Weg!“
    Stumm schüttelte Andion den Kopf. Verzweifelt lauschte er auf die Pausenglocke. Nur sie konnte eine Eskalation des Konflikts jetzt noch verhindern. Doch wie so oft war die Zeit nicht sein Freund. Die Glocke schwieg.
    Kenneth hob das Messer, hielt es Andion drohend vors Gesicht.
    „Verschwinde, oder deiner Visage ergeht es genauso wie dem verfluchten Baum!“
    Es war ihm ernst. Andion spürte es – und handelte. Seine Bewegungen waren so schnell, dass die Augen der anderen ihm nicht folgen konnten. Er entwand Kenneth das Messer, bevor der auch nur begriff, was geschah, und warf es beiseite. In der gleichen Sekunde fegte ein heftiger Windstoß über den Platz, packte das Messer, verlieh ihm zusätzlichen Schwung und trug es direkt zur nächsten Gullyöffnung.
    Kenneths Augen weiteten sich, als das Klappern und seine
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