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Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman

Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman

Titel: Wächter der Seelen / Gefährlich wie ein Engel. Roman
Autoren: Annette McCleave
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folgte der Aufforderung, zur kathedralartigen Residenz Ihrer Majestät des Todes in den Eishöhlen der Antarktis zu kommen.
    Sein Atem gefror, während er die Augen langsam wieder öffnete und sich orientierte: gewölbte Decken, Tausende kleine Kerzen, die ins Eis eingelassen waren, wasserblaue Wände, die vom Schein zuckender Flammen vergoldet wurden, und ein weicher grauer Nebel, der den Boden verschluckte. Schaurig-schön.
    Wie die Herrin des Todes selbst. Sie saß auf dem Onyxthron mit der hohen Lehne, in ein ärmelloses schwarzes Satinkleid gehüllt, das lange weiße Haar war in kunstvollen Locken auf dem Kopf aufgetürmt. Der Blick der blauen Augen war lebhaft und wachsam, die bleiche Haut glatt und ihr Alter unmöglich zu bestimmen. »Du stellst meine Geduld auf eine harte Probe, Wächter.«
    Lachlan deutete eine knappe Verbeugung vor seiner Herrin an. Dann näherte er sich ihr auf dem purpurroten Teppich und blieb einige Schritte vor dem Thron stehen. Nicht ein einziger der sechs leichenblassen Leibwächter erwies sich als einfältig genug, ihm den Weg zu versperren. »Ich gebe nicht viel auf Glöckchengebimmel.«
    »Das solltest du aber. Ob es dir nun passt oder nicht, MacGregor, deine Seele gehört mir.«
    »Ich habe Euch Treue geschworen«, gab er zu. »Aber ich bin als Lehnsherr gestorben, nicht als Vasall. Ich diene niemandem.«
    Die Herrin des Todes erhob sich, und der tiefschwarze Stoff des Kleides floss zu einer schimmernden Pfütze zu ihren Füßen zusammen. In ihrem Gesicht spiegelte sich vollkommene Leere wider. »Seit kurzem legst du eine gefährliche Kühnheit an den Tag. Hegst du die Hoffnung, dass ich dich umbringe und deine Frist vor der Zeit beende?«
    Lachlan erwiderte nichts.
    »Du Narr. Im Gegenteil, mein Zorn würde deine Frist noch um weitere fünfhundert Jahre verlängern. Du bist unübertroffen darin, Dämonen auszulöschen, und die Engel können deine respektvolle Art, die Seelen zu holen, gar nicht genug preisen. Ich gewinne nichts, wenn ich dich zu früh erlöse« – sie stieg die drei Stufen zum nebelverhüllten Hallenboden hinab und schwebte in einer Wolke aus kühlem, kristallinem Duft an ihm vorbei –, »auch wenn die Versuchung groß ist. Du hast den Wächterkodex verletzt, indem du für eine lebende Seele die Zeit angehalten hast.«
    Lachlan drehte sich mit ihr, um sie nicht aus dem Blick zu verlieren. »Habt Ihr mir nicht befohlen, für die Sicherheit des Mädchens zu sorgen?«
    »Das habe ich, und trotz deiner verbotenen Bemühungen hättest du fast versagt.« Sie nahm eine Handvoll getrockneter Früchte aus einer gewaltigen Silberschale, die auf einer Anrichte aus Ebenholz stand, und stocherte mit dem langen weißen Nagel des rechten Zeigefingers darin herum – demselben Finger, mit dem sie auch ihre Erwählten brandmarkte.
    »Ich kann nicht an zwei Orten gleichzeitig sein«, sagte Lachlan, während er zusah, wie ein Stück Birne zwischen den blutroten Lippen verschwand. »Wenn Ihr wollt, dass ich das Kindermädchen spiele, dann entlasst mich aus der Seelenkollekte.«
    »Ausgeschlossen!«
    »Dann solltet Ihr Euch auf weitere Enttäuschungen gefasst machen.«
    Sie spießte ihn mit ihrem eisigen Blick auf. »Wage es nicht, mich zu belehren. Du vermagst mehr, als du im Moment leistest, und ich verlange alles von dir. Nähere dich der Familie. Du musst jeden Augenblick, in dem du keine Seele holst, über sie wachen.«
    »Warum?«
    Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Du brauchst nicht zu wissen, warum. Sorge einfach dafür, dass Satan seine Finger von dem Mädchen lässt, und setze mich von jedem ungewöhnlichen Ereignis in Kenntnis.«
    »Weiß Satan, wie wichtig sie ist?«
    »Habe ich gesagt, dass sie es ist?«
    Lachlan widerstand dem Drang, verächtlich zu schnauben, und erwiderte: »Es spricht für sich, dass Ihr Euren besten Krieger um die halbe Welt zerrt, damit er auf ein Mädchen aufpasst, das noch ein halbes Kind ist.«
    »Den besten? Ha! Noch gestern hätte ich dir freudig beigepflichtet, aber das ist Vergangenheit. Du hast deine Skrupellosigkeit verloren, MacGregor. Du unternimmst alles, damit ich mein Vertrauen in dich bereue.«
    Davon würde er sich nicht provozieren lassen. Über vierhundert Jahre lang hatte er sich hinter einer kalten, unbeirrbaren Zielstrebigkeit versteckt, pausenlos an seinen Fertigkeiten gefeilt und die Welt der Menschen gemieden, um sich ganz seinen Pflichten zu widmen. Er hatte nichts zwischen sich und die Seelenkollekte
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