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Wachstumsschmerz

Wachstumsschmerz

Titel: Wachstumsschmerz
Autoren: Sarah Kuttner
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einziehen. Von all der Panik, die uns jetzt gleich überfluten wird, kurz abgesehen: Können wir uns das beide vorstellen? Wollen wir hier wohnen?«
    Flo sieht auf seine Schuhe und atmet tief ein und aus. Dann sieht er mich an, und bevor er etwas sagen kann, fragt der Noch-Mieter: »Arbeitest du nicht im ›Kletterama‹?«
    »Er ist sogar Assistant Manager!«, sage ich.
    »Echt? Krass! Dann habt ihr den Aushang gesehen, oder? Abgefahren! Ich find euren Laden echt mega cool! Wenn ihr die Wohnung wollt, dann ist das total easy. Dem Vermieter ist es relativ egal, wer nach uns einzieht, Hauptsache, er kriegt seine Kohle. Also wenn ihr wollt, kann ich das super einfach regeln!« Er ist ganz aufgeregt.
    Flo tappt ein kleines bisschen in die Falle und wirkt gebauchpinselt, dennoch sieht er mich unsicher an.
    »Können wir kurz noch mal ’ne Zigarette lang überlegen?«, bitte ich den Klettergroupie.
    »Easy! Kein Problem! Ihr könnt auch hier drinnen rauchen, wenn ihr wollt!«
    »Danke, aber wir gehen kurz raus. Dauert nur zwei Minuten, ja?«
    Der junge Mann ist so begeistert von der Vorstellung, dass Flo sein Nachmieter sein könnte, dass wir auch problemlos ein Lagerfeuer in seinem Wohnzimmer machen könnten. Er nickt rotohrig und friemelt sein Handy aus der Hosentasche, vermutlich, um seinen Kletterkumpanen die »abgefahrenen News« zu verkünden.
     
    »Flo?«
    »Du musst zugeben, dass es auch für dich ein
bisschen
gruselig ist, oder?«
    »Machst du Witze? Ich mach mir fast in die Hose!«
    »Andererseits haben wir tatsächlich kaum was zu verlieren, oder?«
    »Ich denke nicht. Es ist ja keine Ehe, oder Gott bewahre: ein Kind! Notfalls können wir es mit ein bisschen Aufwand innerhalb weniger Wochen wieder rückgängig machen.«
    »Und das dritte Zimmer ist groß genug für ein Gästebett, falls ich mal alleine schlafen will, stimmt’s?«
    »Das ist der Plan! Alle Freiheiten, die wir bisher hatten, nur dass wir unter einem Dach wohnen. Keine Anwesenheitspflicht, keine in Stein gemeißelten gemeinsamen Abendessen, auf keinen Fall jeden Abend Pärchenabend, und wer zuerst ein Video für sich selbst mitgebracht hat, darf es bei Bedarf alleine auf dem großen Fernseher schauen. Deal?«
    Flo nickt vor sich hin. Plötzlich fühlt es sich an, als wenn wir erst jetzt zum ersten Mal detailliert darüber nachdenken, wie eigentlich der genaue Verhaltenskodex in einer gemeinsamen Wohnung aussieht. Aber wenn es nach mir geht, muss es tatsächlich keine großen Veränderungen geben. Gemeinsam wohnen bedeutet nicht automatisch, dass jegliche Aktivitäten in der Wohnung auch immer gemeinsam ausgeführt werden. Jedenfalls sollte es das nicht bedeuten. Jeder frühstückt, wann er will, jeder
macht
, was er will. Und wenn wir gemeinsam Zeit verbringen wollen, verabreden wir uns dazu. Wie bisher.
    »Kann ich eine kleine Kletterwand in das Gästezimmer bauen?«
    »Auf gar keinen Fall!«
    »O.k. Dann lass uns reingehen und dem Typen die Wohnung abnehmen, bevor die neuen Nachbarn sehen, dass meine Freundin sich in die Hose gemacht hat!«

Memo
    Gestern hat zum ersten Mal jemand auf deiner Seite des Bettes geschlafen.
    Komisch, dass es tatsächlich auch dann noch eine gültige Seitenverteilung gibt, wenn man wieder allein schläft. In Filmen nervt mich das immer furchtbar. Der Witwer/Verlassene liegt noch Jahre nach dem Tod/Auszug des Partners auf der ihm zugewiesenen Seite. Die unbewohnte Betthälfte wird jedes Mal frisch mitbezogen und bis zum nächsten Bettwäschewechsel nicht mehr angerührt. Wie ein Schrein im eigenen Bett. Weshalb sollte man das wollen? Man schläft doch auch nicht neben einer Leiche. Wieso also nicht wieder das ganze Bett nutzen?
    Nun, glaub mir, ich habe es versucht. Aber das Bett ist zu groß! Und zwar nicht ausschließlich im romantischen Knef’schen Sinne (»Was hab ich von meinem Doppelbett/wenn du auf Nachtschicht bist?/Mein Kopfkissen wird zum Nagelbrett/wenn du nicht bei mir bist«), sondern auch ganz praktisch. Nachdem wir jahrelang zusammen in 1 , 40  m breiten Betten miteinander geschlafen haben, fanden wir es sehr luxuriös, uns ein »Erwachsenenbett« zu kaufen. 1 , 60  m? Our Ass! 1 , 80  m soll es bitte schön sein, denn heute wird gelebt! Wir hielten das für die perfekte Größe: nicht so groß, dass man auch gleich in getrennten Betten schlafen könnte, aber groß genug, um seinen eigenen Platz zu haben, für den Fall, dass man sich mal im Bett auf die Nüsse geht. Wir sind beide ruhige
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