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Wach auf, wenn du dich traust

Wach auf, wenn du dich traust

Titel: Wach auf, wenn du dich traust
Autoren: Angela Mohr
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normale Station, sagen sie. Mein Zustand ist stabil genug. Meinen Kopf kann ich noch nicht so richtig bewegen, er ist immer noch in einer Gipskrause. Manchmal, wenn es unerträglich juckt, denke ich an das Wasser in dem See, als ich an dem ersten Morgen reingesprungen bin. Das ist gerade mal fünfzehn Tage her. Komisch, aber daran denke ich immer noch gerne. Es ist eine der wenigen Erinnerungen, die ich an die letzte Zeit habe. Das meiste kommt erst langsam zurück.
    Jeden zweiten Tag kommt eine Psychologin und unterhält sich mit mir. Sie sagt, dass das wieder zurückkommen kann, die Erinnerung. Dass das ein Trauma ist und dass ich Zeit brauche. Manchmal glaube ich, sie hat es nicht so leicht mit mir, weil ich meistens gar nichts sage.
    Und das meiste von dem, was sie sagt, kommt mir wiederum komisch vor. Als wäre sie aus einer anderen Welt, die mit meiner nicht viel zu tun hat.
    Am Liebsten unterhalte ich mich mit Miriam. Ich bin fast ein bisschen traurig, dass ich ab morgen nicht mehr auf der Intensiv liege. Aber Miriam hat gesagt, ich könnte jederzeit rüberkommen und ihr bei der Kaffeepause Gesellschaft leisten.
    Miriam versteht mich, wenn ich ihr sage, dass ich weiß, dass alle froh waren, als es endlich vorbei war. Joachim will das nicht hören. Er ist wirklich lieb und alles und versucht, mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Aber er hat sie eben nicht gesehen. Er hat sie nicht so gesehen wie ich. Sie hatten doch einfach alle Angst!
    Er sagt, ich solle sie nicht in Schutz nehmen. Aber das tue ich ja gar nicht.
    Gestern zum Beispiel kam Debbie rein und hat erzählt und erzählt. Silvio soll wohl Sozialarbeitsstunden ableisten. Er hat keine Vorstrafen und außerdem einen Anwalt zum Vater.
    Mir ist das im Grunde egal, habe ich Debbie gesagt. Es gibt mir keine Befriedigung, mir vorzustellen, wie Silvio öffentliche Grünanlagen pflegt.
    Aber das konnte Debbie nicht verstehen.
    Irgendwann habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich habe zu ihr gesagt, dass ich nicht da weitermachen kann, wo wir aufgehört haben. Sie hat mich ganz verdattert angeschaut und wusste wohl nicht, was sie sagen sollte. Das mit Finns Handyaufnahme habe ich ihr nicht erzählt. Ich hab sie nach Hause geschickt. Vielleicht kommt sie wieder, vielleicht nicht.
    Sogar Tizian war da. Zuerst war ich ziemlich nervös. Es war mir auch ein bisschen peinlich, ich sehe ja gerade wirklich nicht vorzeigbar aus, da ist selbst mit Schminke nichts zu machen.
    Wir haben dann ein bisschen geredet. Fast so wie früher. Er hat mir gesagt, dass mit der Rothaarigen Schluss ist. Ich habe gesagt, dass mir das leidtut. Da hat er mich ziemlich ungläubig angeschaut, aber es war die Wahrheit. Es ist ja so: Ich hab gemerkt, dass Tizian eigentlich ziemlich gewöhnlich ist. Außerdem sieht er nicht halb so gut aus, wie ich immer dachte. Es hat mir leidgetan, dass er da so rumgestottert hat und ein schlechtes Gewissen hatte. Warum sollte er? Er konnte ja nun wirklich nichts dafür. Ich glaube, ich will nichts mehr von ihm. Es ist, als gäbe es in mir so was wie ein »Vorher« und ein »Nachher«. Und Tizian hat mit dem »Vorher« zu tun, und das ist ein anderes Leben.
    Zum Abschied haben wir uns geküsst. Ich weiß nicht, ob er noch mal wiederkommt. Es ist mir auch nicht so wichtig, wie ich immer dachte.
    Manchmal ermüden mich Menschen immer noch. Ich bin lieber alleine.
    Eine Gemeinderätin war da. Irgendjemand muss erzählt haben, dass ich so was wie eine Heldin sei. Sie hat mir eine Broschüre in die Hand gedrückt. »Sag Ja zu Zivilcourage«. Dabei hat sie die ganze Zeit mit großen Augen geguckt und dummes Zeug geplappert. Ich habe kein Wort von dem verstanden, was sie mir sagen wollte.
    Irgendwann habe ich einfach nach Miriam geklingelt. Die hat sofort gesehen, was los ist, und hat die Frau weggeschickt. Die war fast beleidigt, weil noch ein Fotograf kommen wollte. Ich bin Miriam echt dankbar, ich habe keine Lust, in irgendeinem Käseblatt mit Foto zu erscheinen neben einer stolz lächelnden Gemeinderätin. Ich bin doch kein Preisboxer.
    Später habe ich dann die Broschüre durchgeblättert. Keine Ahnung, warum die Frau mir die gegeben hat. Was da drinsteht, ist völlig blödes Zeug.
    Man könnte ja das Gefühl kriegen, ich hätte Spaß dabei gehabt. Als hätte ich mir gedacht: Hey, jetzt spiele ich mal ein bisschen Heldin.
    Ich hab die Broschüre weggeschmissen. Nicht mal zum Salateinwickeln ist die gut.
    Wer immer das geschrieben hat, hat keine Ahnung. Es
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