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Vulkans Hammer

Vulkans Hammer

Titel: Vulkans Hammer
Autoren: Philip K. Dick
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Tafel stehen. Versuchsweise hob er die Hand und zog Linien. Weiße Spuren erschienen auf der dunklen Oberfläche. Er machte ein paar nachdenkliche Bewegungen, und die Jahreszahl 1992 baute sich auf.
    »Das Ende des Krieges«, sagte er.
    Er zeichnete 1993.
    »Die Lissabonner Gesetze, über die ihr gerade unterrichtet werdet. Das Jahr, in dem die versammelten Nationen der Welt beschlossen, sich zu verbinden und ihr Schicksal auf Gedeih und Verderb zu teilen. Sich auf realistische Weise – nicht in der idealistischen Art der UNO-Zeit – einer gemeinsamen supranationalen Macht unterzuordnen, zum Wohl der gesamten Menschheit.«
    Direktor Dill trat von der Tafel zurück, den Blick nachdenklich auf den Boden gerichtet.
    »Der Krieg war eben zu Ende gegangen; der größte Teil des Planeten lag in Trümmern. Es mußte etwas Drastisches unternommen werden, weil ein weiterer Krieg die Menschheit ausgelöscht hätte. Irgend etwas, irgendein endgültiges Organisationsprinzip wurde gebraucht. Internationale Kontrolle. Ein Recht, das kein Mensch, keine Nation brechen konnte, und Wächter wurden gebraucht.
    Aber wer sollte die Wächter bewachen? Wie konnten wir sicher sein, daß diese supranationale Körperschaft frei sein würde von niederen Leidenschaften, von dem Haß und den Vorurteilen, die durch alle Jahrtausende hindurch Menschen dazu gebracht hatten, sich gegen Menschen zu stellen? Würde nicht diese Körperschaft wie alle anderen von Menschenhand geschaffenen die Erbschaft derselben Verirrungen antreten, derselben Niederlagen von Vernunft unter Egoismen, von Gefühl unter Logik?
    Eine Antwort gab es. Seit Jahrzehnten hatten wir Computer eingesetzt, gigantische Konstruktionen, die durch die Arbeit und das Talent Tausender fähiger Experten nach exakten Vorgaben errichtet worden waren! Die Maschinen waren frei von den vergiftenden Neigungen des Eigennutzes und des Gefühls, die an den Menschen nagten; sie waren in der Lage, die objektiven Berechnungen anzustellen, die für den Menschen nur ein Ideal bleiben würden, niemals Wirklichkeit. Falls die Nationen bereit sein würden, ihre Souveränität aufzugeben, ihre Macht den objektiven, unparteiischen Anweisungen unterzuordnen, die von ...«
    Wieder durchschnitt die Kinderstimme Dills selbstzufriedenen Wortstrom. Die Rede erstarb, gehemmt durch die knappe direkte Unterbrechung aus den hinteren Reihen. »Mr. Dill, glauben Sie wirklich, daß eine Maschine besser ist als ein Mensch? Daß der Mensch mit seiner Welt nicht zurechtkommt?«
    Zum erstenmal röteten sich Direktor Dills Wangen. Er zögerte, halb lächelnd, und gestikulierte mit der rechten Hand, während er nach Worten suchte. »Nun«, murmelte er.
    »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, keuchte Mrs. Parker, als sie ihre Stimme wiederfand. »Es tut mir so leid. Bitte, glauben Sie mir, ich hatte keine Ahnung ...«
    Direktor Dill nickte ihr verständnisvoll zu. »Natürlich«, sagte er leise. »Sie können nichts dafür. Das sind keine Tabulae rasae, die man formen könnte wie Plastilin.«
    »Wie bitte?« fragte sie, da sie die fremdsprachigen Wörter nicht verstand. Sie hatte eine dunkle Ahnung, worum es sich handelte – Latein?
    »Es wird immer eine gewisse Anzahl geben, die nicht darauf anspricht«, sagte Dill. Er hob die Stimme, damit die Klasse ihn hörte. »Ich werde ein Spiel mit euch spielen«, sagte er, und die kleinen Gesichter zeigten sofort Vorfreude. »Ich möchte, daß keiner auch nur ein Wort sagt, legt die Hände über die Münder und verhaltet euch so wie unsere Polizeitrupps, wenn sie darauf warten, einen Feind zu erwischen.« Die kleinen Hände flogen hoch und bedeckten die Münder; die Augen glänzten vor Aufregung. »Unsere Polizisten sind ganz still«, fuhr Dill fort. »Und sie sehen sich um; sie suchen und suchen, um zu sehen, wo der Feind ist. Sie verraten dem Feind natürlich nicht, daß sie gleich zupacken werden.«
    Die Klasse kicherte fröhlich.
    »Jetzt«, sagte Dill und verschränkte die Arme. »Wir sehen uns um.« Die Kinder spähten gehorsam herum. »Wo ist der Feind? Wir zählen – eins, zwei, drei.« Plötzlich warf Dill die Arme hoch und sagte mit lauter Stimme: »Und wir zeigen auf den Feind. Wir zeigen, wo sie ist!«
    Zwanzig Hände deuteten. Das kleine, rothaarige Mädchen ganz hinten saß still und zeigte keine Reaktion.
    »Wie heißt du?« fragte Dill, während er gemächlich den Mittelgang entlangschritt, bis er vor ihrem Tisch stand.
    Das Mädchen blickte schweigend zu
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