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VT05 - Tag der Vernichtung

VT05 - Tag der Vernichtung

Titel: VT05 - Tag der Vernichtung
Autoren: Jo Zybell
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Das Zeug bewirkte eine Art Wachkoma und war nach schweren Zwischenfällen verboten worden. Nach dem Marsastronauten Enrico Bergmann nannte man es die Bergmann-Variante.
    Wie es Bergmann in der BRADBURY ergangen war, wusste de Gruiter nicht; niemand wusste das, denn die Verbindung zur Marsexpedition war abgebrochen. [1] Wie es dem bedauernswerten Herrn Schmitt auf dem Obduktionstisch ging, war nicht zu übersehen. Und der Weg hierher auf diesen Seziertisch war ein langer und keinesfalls schöner gewesen.
    Anfang September letzten Jahres war das Kerlchen Amok gelaufen. Voll gepumpt mit einem modifizierten Präparat der Bergmann-Variante, hatte er drei Polizisten und eine Deutsche Dogge getötet, bevor die Kugel aus einer Polizeiwaffe ihn unschädlich machte.
    »Hier ist das Projektil in den Schädel eingedrungen und hier wieder ausgetreten.« De Gruiter deutete auf die beiden vernarbten Wunden in den Schläfen.
    Die Kugel hatte Schmitt nicht getötet, aus irgendeinem Grund war er nicht gestorben. Niemand konnte sich erklären, warum er trotz der schweren Verletzung Monate lang im Koma vor sich hindämmerte. Bis vorgestern hatte er an einem Beatmungsgerät gehangen. Vor vier Tagen hatte ein deutsches Gericht der Klage irgendwelcher Angehörigen Recht gegeben, die den Abbruch aller lebenserhaltenden Maßnahmen verlangt hatten.
    Vorgestern Morgen, am Samstag, war grünes Licht aus Den Haag gekommen, am Abend desselben Tages hatte der zuständige Chefarzt in der Universitätsklinik von Amsterdam persönlich das Beatmungsgerät abgeschaltet und ein paar Minuten später Schmitts Tod festgestellt. Und jetzt lag er eben hier, fünf Stockwerke tiefer, auf dem Seziertisch, damit de Gruiter und Lindson ihn sich von innen anschauen konnten; vor allem der Schusskanal durch das Gehirn interessierte sie.
    »Wie wäre es, wenn Sie schon mal den Schädel öffnen«, sagte de Gruiter in seiner typisch hochnäsigen Art zu Anne Wilkins. »Sie wollen ja schließlich was lernen bei uns hier in der Pathologie, oder?«
    Die angehende Ärztin nickte, und weil sie ein wenig nervös war, griff sie zuerst nach der Trepanationssäge und versuchte sie einzuschalten.
    »Vielleicht wäre es ratsam, zunächst die Schädelschwarte zu öffnen und abzuziehen.« De Gruiter grinste herablassend.
    »Wenn Sie gleich die Knochensäge ansetzen, fliegt uns hier das tote Zeug um die Ohren, und wir können hinterher duschen gehen.«
    Anne Wilkins legte die Trepanationssäge weg, griff zu einem großen Skalpell, beugte sich über den Schädel des Toten und verharrte einige Augenblicke.
    Sie hatte schon viele Gesichter von Leichen gesehen. Dieses hier übertraf alle an Hässlichkeit und Verfall. Seine Haut war graublau und von großen violetten Flecken übersät. Die Augäpfel unter den fast durchsichtigen Lidern kamen Anne so groß wie Tomaten vor, aber vielleicht lag das auch an dem kleinen, sehr schmalen Gesichtsschädel. Die Lippen waren fast schwarz und die Wangen eingefallen.
    Die angehende Ärztin glaubte in ein totes Gesicht zu sehen, das sich jeden Moment endgültig in einen Totenschädel verwandeln würde.
    »Ich will Ihren ästhetischen Genuss nicht stören«, sagte de Gruiter mit beißendem Spott. »Aber wir sollten jetzt wirklich anfangen.« Er setzte die Kreissäge an, um den Brustkorb des Toten zu öffnen. Knut Lindson und Anne Wilkins tauschten verstohlene Blicke aus. Lindson hielt den Spreizhaken bereit, mit dem der geöffnete Brustkorb auseinander gezogen werden sollte.
    De Gruiters kleine Knochenkreissäge begann zu singen, und Anne Wilkins zog das Skalpell von der rechten Schläfe über die Stirn bis zur linken Schläfe. Sekret sickerte aus dem Schnitt und schwarze Blutgerinnsel quollen heraus.
    »Na so was.« Ruuid stand am Fußende des Seziertisches, lachte und deutete auf den linken Fuß des Toten. »Der große Zeh hat gezuckt!«
    Pim de Gruiter richtete sich auf, zog die Brauen hoch und musterte den Pathologiepfleger solange, bis dem das Lachen verging und er seinem Blick auswich. Auf einmal zuckte Anne Wilkins zurück, ließ das Skalpell fallen und riss Mund und Augen auf.
    »Ist Ihnen jetzt schon schlecht, oder was?«, fuhr de Gruiter sie an. Noch immer hielt er die eingeschaltete Knochenkreissäge in den Händen. Das Brustbein des Toten war zur Hälfte geöffnet. Der Spalt füllte sich mit Sekret und Blutgerinnsel.
    »Die Augäpfel… Sie haben sich bewegt…« Die junge Frau schluckte.
    »Na, super!« De Gruiter verdrehte die Augen.
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