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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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das Fotografen mit Freude aufnehmen und auf Postkarten abbilden. Schon nicht mehr von dieser Welt und von tausend Falten durchfurcht, wirkte es wie ein Magnet. Die Leute lächelten wohlwollend in ihr verrunzeltes Antlitz, blickten dann unter die dicken, grauen Brauen, die über ihren Augen hingen, und waren wie gebannt. Maggie hatte es mitangesehen: Die Leute hielten auf einmal inne und wurden ganz still. Slumbers Augen ließen nicht erkennen, daß sie zweiundneunzig lange Jahre durchlebt hatte, harte Jahre in der Reservation, Jahre voll grimmigen Hungers und einer so beißenden Kälte, daß sie sich in den Knochen festsetzt und einem Menschen das Gefühl gibt, nie mehr Wärme empfinden zu können. Sie waren merkwürdig klar und schwarz wie die tiefste Nacht, die Augen von Slumber Wanderfalke, und sie strahlten eine unbegreifliche Macht aus. Die Navajo nannten sie »Diese verrückte, alte heilige Keres-Frau«, aber ihr eigenes Volk nannte sie »Die-die-Toten-heim-sucht«.
    Und sie wird bald eine von ihnen sein… O ihr Götter, helft mir, das zu ertragen.
    Maggie legte einen Arm um die Schulter ihrer Großmutter und drückte sie an sich. Slumber streichelte dankbar Maggies Hand.
    »Mir geht's gut«, sagte Slumber.
    Vor zwei Wochen hatte der Arzt in Albuquerque Slumber noch höchstens acht Wochen gegeben. Der Krebs hatte den ganzen Körper erfaßt. Maggie, angstvoll und innerlich leer, wußte nicht, was sie sagen oder tun sollte. Slumber hatte nur gelächelt und war ins Pueblo zurückgekehrt, zu ihren täglichen Verrichtungen, denen sie ihr Leben lang nachgegangen war. Was sie auch innerlich fühlte, nach außen hin gab sich Slumber gesund und munter.
    Maggie führte ihre Großmutter zu einer niedrigen Mauer neben dem Schild Nicht auf die Mauern setzen! und half ihr liebevoll, sich niederzulassen. Slumber deutete auf das Schild und grinste. »Du bist der große Parkwächter hier, da spielt's wohl keine Rolle, wie?«
    »Ich pflege diese Entscheidungen von Fall zu Fall zu treffen«, antwortete Maggie in ihrem besten Verwaltungsjargon. »Wenn ich Dienst habe, werden ältere Herrschaften rücksichtsvoll behandelt.« Ein Jeep dröhnte auf den Parkplatz. Maggie hob eine Hand vor die Augen, um den Regen abzuhalten. Verdammt, da waren sie schon. »Großmutter«, sagte sie, »ich muß diese Leute begrüßen. Kommst du allein zurecht?«
    »Das weißt du doch. Geh nur«, erwiderte Slumber und winkte mit ihrer durchsichtigen alten Hand. Sie lächelte. »Ich möchte nur ein Weilchen sitzen bleiben und zuhören.«
    Maggie strich ihrer Großmutter übers Haar und wandte sich ab.
    Slumber sah ihre Enkelin zum Weg gehen, der zum Parkplatz führte, und seufzte. Meine Zeit ist bald um. Meine Seele hängt nur noch an einem Spinnwebfaden, hoch über meinem Körper schwebend. Der Gedanke gefiel ihr. Es war nötig, daß sie jetzt entfloh, der Schmerz wurde zu groß. Jeder Zoll ihres Körpers tat ihr weh. Ja, der Arzt hatte ihr alle möglichen Pillen zum Einnehmen gegeben; die hatte sie in eine Tüte gepackt und in den Abfall geworfen. Wenn die Zeit käme, würde Slumber Wanderfalke aufstehen, den Vorfahren begrüßen, der erschiene, um sie abzuholen, und bei klarem Verstand und mit offenem Herzen in die Himmelswelt aufsteigen.
    Sie strich den knöchellangen purpurnen Baumwollrock glatt. Die Farbe stach auffallend gegen die zartroten Steine der Mauern ab.
    Zwei Leute kamen mit Maggie durch den Haupteingang. Sie hatten die Stirn gerunzelt, als seien sie für einen Streit gerüstet, und ihre Sprache hatte einen grollenden Unterton. Der hochgewachsene Mann hatte allerdings eine machtvolle Aura. Slumber sah sie um ihn herumwabern wie eine schwachblaue Ausstrahlung. Mit dem richtigen Lehrer könnte aus ihm etwas werden. Zu schade allerdings, daß die meisten Weißen sie nicht wahrnehmen konnten.
    Slumber blickte über den zerklüfteten Canyon nach Süden. Eine Regenwand zog nach Norden. Die nasse Erde roch wie ein Parfüm. Sie atmete tief ein und hielt diese beseligende Luft in ihren Lungen fest, während sie im stillen den Shiwana für den Schauer dankte. Die Shiwana waren die Geister der Toten, die in den Himmel gestiegen und zu Wolkenwesen geworden waren. Die Hopi nannten sie Katchinas, die Zuni Koko, die Tewa Okhua, aber die meisten Weißen benutzten das Wort Katchina wegen der Püppchen, die die Navajo machten und in allen Kram- und Eisenwarenläden verkauften. Der Regen wanderte zu den Ruinen, und Slumber hielt ihr Gesicht in die Höhe, um
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