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Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille

Titel: Vorzeitsaga 08 - Das Volk der Stille
Autoren: Kathleen O'Neal Gear , W. Michael Gear
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schüttelte den Kopf und fuhr fort: »Sie fragte mich, ob ich wüßte, was es bedeutet, das Herz einer Wolke zu haben.«
    »… Das Herz einer Wolke?«
    »Ja. Mein lieber Freund Schwarzer Tafelberg hat mal zu mir gesagt: ›Du mußt das Herz einer Wolke haben, um auf dem Wind zu gehen/ Ich habe das damals nicht verstanden.«
    »Und heute verstehst du es?«
    Sängerling runzelte die Stirn. »Ich verstehe es ein bißchen. Ich sagte der Hüterin, ich glaubte, das Herz einer Wolke, das seien Tränen, und ›auf dem Wind zu gehen‹ bedeute wohl, daß man aus großer Höhe hinabsehen könne und deshalb alles deutlicher erkenne.« Er drehte sich zu Eichelhäher um; seine Augen waren feucht. »Ich glaube, sie wollte mich lehren: Wenn ich innerhalb der Tränen anderer lebe, dann kann ich das Leben besser verstehen.«
    Eichelhäher setzte sich zurück. Es kam selten vor, daß einer in Sängerlings Alter das Wesen geteilten Leides verstand. Wie viele alte Männer, Männer in ihrem siebzigsten Sommer, mußten diese Wahrheit erst noch lernen. »Was hat sie gesagt?«
    »Sie sagte: ›Erzähl deinem Großvater, was du hier getan hast, was du hier gesehen hast. Er wird es verstehen/« Sängerling blickte Eichelhäher zweifelnd an, als fragte er sich, ob das stimmte. Eichelhäher strich über das Gras auf seiner Seite. Die neuen Halme fühlten sich weich und sanft an. »Hat sie sonst noch etwas gesagt?«
    Sängerling nickte. »Ja. Sie hat gesagt, wenn ich mit dir spräche, würde ich eines Tages ein großer Sänger sein, und daß ich mein Leben zu einem Opfer machen sollte; das würde viel mehr Menschen retten als mein Tod.«
    Über seinem Herzen spürte Eichelhäher einen seltsamen hämmernden Schmerz. Diese weise Frau aus den Bergen hatte in diesen Worten eine Nachricht für ihn versteckt, für ihn ganz allein. Sie sagt mir warnend voraus, daß mein Enkel ein sehr heiliger Mann sein wird das heißt, wenn ich nicht seine Seele töte, indem ich seinen Freund töte.
    Aber Eisenholz einfach gehen zu lassen! Die toten Augen seiner Frau starrten ihn aus der Tiefe seiner Seele an. Wie konnte er ihren Mörder freilassen? Oder den Verlust und die Schändung seiner Tochter einfach übergehen? Könnte er das - das schreckliche Leiden und den Kummer vergessen? Eichelhäher schüttelte den Kopf. »Ich kann ihn nicht gehen lassen, Sängerling.«
    »Er befolgte den Befehl seiner Gesegneten Sonne, Großvater, so wie dein Kriegshäuptling deine Befehle befolgt. Du bestrafst das Werkzeug, weil es sich benutzen ließ.«
    »Aber sein Tod wird Angst und Schrecken in die Herzen unserer Feinde jagen, Enkel. Ich muß -« »Aber sie haben ohnehin schon Angst, Großvater.« Sängerling rümpfte die Nase über den seltsamen Geruch, den die westliche Brise herantrug. »Die Götter verstehen Gerechtigkeit auf ihre Weise. Ich …« Er runzelte die Stirn. »Das Volk des Rechten Wegs sieht von außen kraftvoll und mächtig aus. Doch es ist wie in einem alten Baum - innen morsch und schon sterbend; sie haben nicht mehr viel Zeit.«
    »Woher weißt du das, Sängerling? Haben die Götter dir das verraten?«
    Sängerling kreuzte die Arme fest über der Brust. »Nein … Ich weiß einfach, daß es so ist.« Eichelhähers Brauen zogen sich angesichts der glühenden Augen Sängerlings zusammen. Eine ganze Weile starrte er in diese Augen, sah die Verheißung der Zukunft, das Leid der Vergangenheit. Gerechtigkeit - das war so eine heikle Sache, und das Abwägen war so schwierig. Wie konnte er das glauben? Sängerling war noch kaum ein Mann. Konnte Eichelhäher seiner Vision trauen? Eichelhäher schloß die Augen. »Manchmal«, flüsterte er, »muß ein Mann bereit sein, auf die Genugtuung der Rache zu verzichten und Vertrauen in seine Familie zu setzen.«
    Sängerling richtete sich auf. »Was heißt das?«
    Wie eine gereizte Schlange wütete der Haß im Innersten von Eichelhäher. »Es heißt, daß ich …« Er brachte die Worte kaum heraus, »daß ich Eisenholz freilassen werde.«
    Sängerling umarmte Eichelhäher so heftig, daß diesem die Luft wegblieb. Ein warmes Gefühl durchlief ihn - die gleiche freudige Erregung hatte er immer empfunden, wenn Rehkitz ihn umarmt hatte. Eichelhäher lächelte etwas abwehrend und schlug seinem Enkel auf den Rücken. »Aber du mußt es ihm sagen«, sagte Eichehäher. »Denn wenn ich ihn wieder sehe, werde ich ihn mit Gewißheit töten.«
    »Ich sage es ihm.«
    Eichelhäher setzte sich zurück. »Dann geh! Tu's jetzt, bevor ich es mir
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