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Vorn

Titel: Vorn
Autoren: Andreas Bernard
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Magazinadresse bestellen konnte.) Mittlerweile waren auch die meisten Redakteure
     da und hatten sich zu den anderen an den Tisch gesetzt. Tobias unterhielt sich mit Robert und Claudia, die gerade aus Hamburg
     angekommen waren. Er fühlte sich weniger unruhig, als er in den Tagen vor dem Fest gedacht hätte. In den letzten Monaten hatte
     er jede größere Redaktionsveranstaltung gemieden, war davon überzeugt gewesen, dass er einen solchen Abend nicht aushalten
     würde. Bei der Fünf-Jahres-Party wollte er aber unbedingt dabei sein, sah sie auch als Abschluss seiner Zeit in der Redaktion
     an, und jetzt war er fast überrascht, dass er sich in der |230| Gegenwart seiner Kollegen einigermaßen wohlfühlte. Zu seiner Erleichterung hatte auch die Gewissheit beigetragen, dass er
     Sarah an diesem Abend nicht sehen würde. Tobias hatte sich eigentlich schon fest darauf eingestellt, ihr zum ersten Mal wieder
     zu begegnen. Doch als er ein paar Tage zuvor eine Marketingfrau beim
Vorn
fragte, ob sie sich zu der Party angemeldet hätte, stellte sich heraus, dass sie nicht auf der Liste stand, weder unter »Sarah«
     noch unter »Schröder«. Offenbar war sie tatsächlich wieder zum Studieren nach London gegangen; sie hatte das im Winter damals
     schon angekündigt.
     
    Die Leute vom Catering-Service zündeten gerade die großen Fackeln am Rand des Parks an. Tobias stand mit Johannes Veith und
     Philipp Nicolai neben dem Buffet. Johannes war erst am Mittag von einer Reise nach Los Angeles zurückgekehrt, und nun überboten
     sie sich schon seit längerer Zeit in ihren Lobreden auf diese Stadt. »Nur die Deppen können mit Los Angeles nichts anfangen«,
     sagte Johannes und setzte wieder einmal zu seiner Lieblingstheorie an, dass es kein zuverlässigeres Kriterium gebe, sich über
     einen Menschen klarzuwerden, als die Haltung, die er zu dieser Stadt einnehme. Sie kamen auf die entspannte Atmosphäre dort
     zu sprechen, die sogar im kilometerlangen Stau auf den Stadtautobahnen anhalten würde, versuchten die Frage zu klären, ob
     man überhaupt ein richtiger Los-Angeles-Verehrer sein konnte, wenn man wie Johannes keinen Führerschein besaß – und plötzlich,
     als Tobias wieder einmal den Kopf hob und über das Gelände blickte, war die Party in vollem Gang. Auf der Rasenfläche vor
     der |231| Halle gab es so gut wie kein Durchkommen mehr. Es war vielleicht viertel vor zehn, und alle waren da, hatten fast auf die
     Minute genau dasselbe Gespür dafür gehabt, wann man auf einem großen Sommerfest erscheinen sollte, das laut Einladung um 20
     Uhr beginnt.
     
    Johannes und Philipp wollten sich am Grill etwas zu essen holen, und Tobias ging die paar Meter hinüber zu Alexis, der an
     der Eingangstür der Halle lehnte. Wie so oft war er auf eine Weise gekleidet, die jeden anderen lächerlich gemacht hätte,
     an ihm aber genau richtig aussah: Er trug einen beigen Anzug, darunter ein rosafarbenes Polohemd und eine übergroße Kassenbrille
     aus den achtziger Jahren. Außerdem hatte Alexis tatsächlich seine Ankündigung aus alten
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Zeiten wahrgemacht und sich einen Oberlippenbart wachsen lassen. Er stellte den Umstehenden gerade seine neue Freundin vor,
     die Tobias aus den Erzählungen des verlassenen Schlagzeugers und den WM-Spielen in Alexis’ Wohnung schon kannte. Gleich neben
     ihnen standen Carla Bertoni und Anne Krausnick, perfekt angezogen wie immer, Carla ganz in Weiß, Anne in kurzem Jeansrock.
     Beide trugen zur Feier des Tages besonders seltene New-Balance-Turnschuhe, die man nur in London bekam, Carla olivgrüne, Anne
     silberne mit leuchtend rotem N an den Seiten. Anne hatte ihren Gute-Laune-Partymodus aktiviert, unterhielt sich aufgekratzt
     mit einem
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Fotografen und kommentierte fast jeden seiner Sätze mit einem Lachen oder einer schlagfertigen Nachfrage. Sie war eine Meisterin
     des Partygesprächs und wirkte auf Tobias in solchen Momenten immer wie eine junge Schauspielerin auf einer Dinnerparty in
     Beverly |232| Hills. Es störte auch nicht, dass sie ihr Auftreten bewusst und fast strategisch steuern konnte. Ein junger Feuilletonredakteur
     hatte sich jetzt zu ihnen gestellt, prostete Anne zu und warf ein unschlüssiges »Na?« in ihre Richtung, was sie sofort mit
     »Na, was?« quittierte, wie aus der Pistole geschossen. (Es gab niemanden, auf dessen Antworten diese Redewendung besser zutraf;
     man glaubte wirklich fast, das Geräusch einer kleinen Schusswaffe zu hören, die Anne aus ihrer
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