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Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)

Titel: Vorbei: Drei Erzählungen (German Edition)
Autoren: Hans Joachim Schädlich
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hier kann es nicht werden.»
    «Besser. Besser!»
     
    Anfang Mai fügte es sich, daß Rosetti nach Ludwigslust reisen konnte.
    Rosettis Frau fragte: «Wie weit ist es?»
    «70, 80 Meilen.»
    «Oje!»
    Rosetti hustete. «Ich werde mich nirgends aufhalten. Nur schnell nach Ludwigslust.»
     
    Rosettis Frau Rosina und die Kinder Rosina Theresia und Antonia Theresia brachten Rosetti zur Poststation. Seine Frau zog einen kleinen Handkarren mit Rosettis Gepäck.
    «Ob es nicht zu viel ist?» sagte Rosetti. «Ich bleibe nicht lange.»
    Aber Rosettis Frau hatte darauf bestanden, er müsse einen zweiten Anzug, ein zweites Paar Schuhe, genügend Hemden und, unbedingt, Proviant bei sich haben: einen Schinken aus der Räucherkammer ihres Vaters, Wein.
    Es war nicht zu viel. Der Postillion verstaute alles auf dem Kutschendach. Das Gepäck der drei anderen Fahrgäste fand auch Platz.
    Wolle er in Fahrtrichtung sitzen?
    Ja.
    Den Postillion kannte man. Ein Wallersteiner. Die Postkutsche war mit zwei Pferden bespannt.
    Frau Rosetti fragte den Postillion, wie weit er fahre.
    «Bis Ansbach.»
    Rosetti umarmte seine Frau. Die jüngere Tochter Antonia Theresia weinte. Rosetti umarmte sie und umarmte die ältere, Rosina Theresia.
     
    Rosetti hätte an seine Frau schreiben können: Reisen sind eine Tortur für mich. Ich denke zum Beispiel an die Reise nach Paris – sechs Wochen Ungemach auf Rädern, und das allein die Hinreise … Die Kutsche ist eng. Sitzt ein dicker Mann neben dir, so besetzt er einen Teil deines Platzes. Ständig berührt er dich, was ich besonders verabscheue. Der eine hustet – ich huste auch –, der andere niest, der dritte schneuzt sich, daß es ‹wie Trompeten klingt›. Die Türfenster sind undicht, es zieht. Noch schlimmer: Der eine möchte bei geöffneten Fenstern fahren, der andere möchte die Fenster nie öffnen. Du mußt deinem Gegenüber stets ins Gesicht schauen, es sei denn, du stellst dich schlafend. Du möchtest deine Ohren verschließen, um nicht anhören zu müssen, was geredet wird. Es wird immer geredet. Einer erzählt, daß er auf dem Weg zu seiner Braut sei; er will sie zu sich nach Hause holen und heiraten. Sie ist blond wie Weizen, sagt er, sie ist schlank wie eine Birke, sie hat Zähne wie Perlen. Tugendhaft ist sie auch. Ein anderer erzählt von seiner Reise nach XY. Unterwegs brach ein Rad, sagt er. Da war es noch ein Glück, daß die Kutsche nicht umgestürzt ist. Der dritte klagt über Kreuzschmerzen, die kein Wunder sind bei diesen schlecht gefederten Kutschen auf miserablen Wegen. Mancher raucht eine Pfeife, der Rauch verpestet die Luft, ich muß husten. Zwischen den Füßen der Fahrgäste stehen Körbe, so daß man die Beine nicht ausstrecken kann. Einer holt Schinken, Brot, gekochte Eier aus seinem Korb. Er schmatzt, die Eierschalen fallen auf den Boden. Schließlich fördert er eine Flasche Wein und einen Becher zutage und prostet den anderen zu. Ich esse und trinke nie während der Fahrt. Der Esser rülpst, aber entschuldigt sich nicht. Noch ärger: Er lässt einen Wind fahren. Das ärgste: Jemand schafft es, den Postillion zum Anhalten zu bewegen. Der Jemand steigt aus, ächzt, geht zum nächsten Baum und schlägt sein Wasser ab. Ein Fahrgast ruft: «Gute Verrichtung!»
    Rosetti hätte schreiben können: Durch Deutschland zu reisen heißt Grenzen zu queren: Grafschaftsgrenzen, Herzogtumsgrenzen, Fürstentumsgrenzen. Jedes Gräflein, Herzöglein, Fürstlein sorgt auf seine Weise nicht für die Straßen und Wege. Sie befinden sich zumeist in elendem Zustand. Ich wundere mich, daß die Herren hierauf so wenig Attention haben. Oft fährt man durch tiefen Sand, oft über Steine und Stöcke, so daß man erbärmlich durchgeschüttelt wird. Ich hörte einen Fahrgast sagen, die ordinaire Postkutsche gleiche aufs Haar einem Armesünder-Karren. Ein anderer meinte gar, durch Deutschland zu reisen sei eine Reise durch Hundeland. Herr Nicolai spricht mir aus der Seele; er hat geschrieben, auf einer großen Reise ist ein bequemer Reisewagen, was im menschlichen Leben eine bequeme Wohnung ist. Er spricht natürlich von seinem eigenen Reisewagen. Aber wovon sollte ich mir diese Bequemlichkeit leisten können?
     
    Rosetti schrieb nicht an seine Frau. Er wußte, daß sie selber, zusammen mit den Kindern, die Reise unternehmen müßte, falls er in Ludwigslust angenommen werden sollte.
     
    Wo wohnen für einige Tage in der herzoglichen Residenzstadt Ludwigslust. Rosetti war erkältet oder der
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