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Vor uns die Nacht

Vor uns die Nacht

Titel: Vor uns die Nacht
Autoren: Bettina Belitz
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klasse! Du bist doch glücklich, wenn du im Sand spielst, oder?«
    »Ich spiele nicht, Herrgott noch mal! Und ja, ich bin dann glücklich, sehr sogar!«, blaffe ich ihn an.
    »Spielen ist was Schönes. Glücklichsein auch. Warum soll ich mich darüber ärgern, wenn du etwas tust, was dich glücklich macht? Wäre ich nicht ein Schuft, wenn ich dir das in irgendeiner Weise trüben würde?«
    »Jan, verrate mir eins: Woher kommen diese Sätze? Aus dir? Wirklich aus dir selbst? Verdammt noch mal, du bist zu jung dafür!« Ich halte meine Locken im Nacken in die Höhe, damit mein überhitzter Kopf abkühlen kann.
    »Okay, Baby. Hör mir mal zu.« Er setzt sich im Schneidersitz auf den Boden und versucht, sich und sein Hemd zu ordnen. »Ich war dreizehn, als ich das erste Mal auf einer Parkbank übernachtete, weil ich nicht wusste, wo ich pennen sollte. Ich war beschissen alleine. Klar, ich hätte mich volllaufen lassen können und systematisch mit Drogen betäuben, eben das, was andere Straßenkinder machen. Ich war auch oft nah dran und noch öfter mittendrin. Aber irgendwann hab ich mir gesagt, dass ich an dieser Situation wachsen kann. Am Alleinesein. Ich hab viel gelesen und viel nachgedacht – und nebenbei auch viel Mist gebaut, gebe ich zu. Aber eines Tages hab ich kapiert, dass ich andere Menschen nicht brauche, nicht zum Überleben und erst recht nicht zum Glücklichsein. Ich bin mein bester Freund, denn ich weiß am besten, was mir guttut. Ich sag nicht, dass das leicht ist, es ist sauschwer, ich bin durch manche dunkle Tunnel gegangen, da war es stockfinster. Denn wenn du so denkst, gibt es niemanden mehr, dem du Schuld geben kannst, wenn was schiefgeht. Aber das Ergebnis ist, dass ich mich heute mag. Ich mag mich und kümmere mich gern um mich. Und wenn ich glücklich bin, kann ich es auch teilen.«
    »Nur nicht dein Bett.«
    »Ich sag dir jetzt mal was. Ich bin immer bei dir und immer bei dir gewesen, die ganze Zeit. Hier.« Er deutet auf seinen Kopf. »Und hier.« Sein Finger wandert zu seinem Herzen. »Dazu braucht man kein Bett und keinen gemeinsamen Raum und erst recht keine Versprechungen. Ich war jeden Tag mit dir verbunden und auch jede Nacht, seit unserer Begegnung an Heiligabend. Hast du es nicht gemerkt? Ich war da. Das kann ich nicht bei jedem, es geht nur bei wenigen Menschen und natürlich muss ich meine Kanäle aufmachen, aber noch nie war es so intensiv wie bei dir. Ich spüre dich. Egal, wo du bist. Weil ich dich sehe. Ich sehe dich, Ronia. Ich bin da.«
    Jetzt höre ich sie wieder, seine alte Seele, sie zeigt sich, und etwas in mir reagiert darauf, wie ein begrüßendes, neu erwachtes Flügelschlagen. Es stammt nicht aus dieser Zeit, ist uralt – ja, da ist etwas Uraltes zwischen uns. Es ist das, was sich auch auf seinen Fotos abzeichnet und in seinen Augen lauert. Und es ist genauso in mir. Wir sind miteinander verbunden und wir waren es schon einmal. Es muss so sein. Ich habe ihn gespürt, vor allem in den verzweifelten Stunden. Ich hörte sogar, was er mir eben zum ersten Mal mit Worten sagte. ›Ich bin da.‹
    »Ich dachte, ich hätte es mir eingebildet«, flüstere ich. »Dass ich es mir nur wünsche, dich zu spüren.«
    »Manchmal ist das fast das Gleiche. Mir macht das selbst ab und zu Angst, glaub mir. Aber es ist etwas Gutes.«
    Nur ungläubig begreife ich, was hier gerade vonstattengeht. Wir bewegen uns auf einem Niveau, Jan und ich – das, was ich niemals von ihm gedacht hätte und alle anderen auch nicht. Aber es ist exakt das, was er vorhin selbst gesagt hat und wir krampfhaft versuchten, durch unser körperliches Verlangen zu überdecken: Wir können einander das Wasser reichen. Es besteht keine Gefahr, dass ich ihn verbal erschlage oder ihm zu schlau bin oder zu große Augen habe. Er hat alles, um mir darin zu begegnen. Aus der Not heraus, weil seine Eltern ihn nicht mehr ertrugen – und irgendwie kann ich das verstehen –, musste er sich mit all diesen existenziellen Themen auseinandersetzen, und trotz der Kapriolen und Abweichungen vom Wege hat er es besser hingekriegt als viele andere. Ob das für die Zukunft taugt, weiß ich nicht, und ob für eine gemeinsame, erst recht nicht. Aber es verdient meinen vollen Respekt.
    »Was willst du eigentlich tun? Später?«, frage ich schüchtern.
    »Also, falls das klappt mit dem Abi, studiere ich Sport, ergänzt sich gut mit dem Modeln, und mach danach vielleicht noch irgendeine Zusatzausbildung, Physiotherapie oder Chiropraxis
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