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Vor der Flagge des Vaterlands

Vor der Flagge des Vaterlands

Titel: Vor der Flagge des Vaterlands
Autoren: Jules Verne
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Bemühungen sind vergebens gewesen. Bei dem Zustande, in dem ich mich jetzt befinde, wo ich eine Beute unerklärlicher Sinnestäuschungen bin, scheint es mir, als ob diese Wände sich noch verdickten… als ob die Mauern meines Kerkers näher an einander rückten und mich zermalmen müßten…
    Wie lange diese Störung meiner Geistesthätigkeit gedauert hat, weiß ich nicht zu sagen.
    Ich komme an der Seite von Bee-Hive, vor der Zelle, worin ich weder Ruhe noch Schlaf erhoffen darf, endlich wieder zur klaren Besinnung. Doch schlafen, wenn man geistig so überreizt ist… schlafen, wo ich vor dem Ausgang einer Sachlage stehe, die sich lange Jahre hinzuschleppen drohte!…
    Was wird die Lösung des Knotens aber für mich zu bedeuten haben? Was hab’ ich zu erwarten von dem auf Back-Cup vorbereiteten Angriff, dessen Erfolg ich nicht dadurch zu sichern vermochte, daß ich Thomas Roch außer Stand setzte, Unheil zu verbreiten?… Seine Kriegsmaschinen sind fertig zum Hinausschleudern, sobald die Schiffe in die gefährdete Zone eingetreten sind, und selbst ohne unmittelbar getroffen zu sein, werden sie zugrunde gerichtet werden.
    Doch was auch komme, ich bin verurtheilt, die letzten Stunden dieser Nacht in meiner Zelle zuzubringen. Jetzt muß ich wohl oder übel hineintreten. Mit Anbruch des Tages werd’ ich ja sehen, was sich thun läßt. Und ich weiß ja nicht einmal, ob nicht diese Nacht noch Donnerkrachen die Felsen von Back-Cup erschüttern wird… das Krachen des Fulgurator Roch, der die Kriegsschiffe zerschmettert, ehe sie vor dem Eiland Aufstellung nehmen können!
    In diesem Augenblick werf’ ich einen letzten Blick auf die Umgebung von Bee-Hive. Mir gegenüber strahlt noch ein Licht… ein einziges… das des Laboratoriums, dessen Widerschein auf dem Wasser der Lagune zittert.
    Die Ufer sind öde, niemand befindet sich auf dem Hafendamme. Da kommt mir der Gedanke, daß Bee-Hive zur Stunde verlassen sein möge, daß seine Insassen schon nach dem Kampfplatze geeilt wären.
    Von unwiderstehlichem Verlangen getrieben, gleite ich längs der Wand hin, statt in meine Zelle zurückzukehren, ich horche und spähe umher, bereit, mich in irgend einem Winkel zu verbergen, wenn sich Stimmen oder Schritte hören ließen.
    So komme ich bis zur Mündung des Ganges
    Allmächtiger Gott! Hier steht niemand Wache… der Weg ist frei!
    Ohne mir zur Ueberlegung Zeit zu nehmen, dringe ich in den dunkeln Schlauch – mehr ist es nicht – ein und taste mich an seiner Wand weiter. Bald weht mir eine frischere Luft ins Gesicht, die salzgeschwängerte Luft des Meeres, die Luft, die mir seit fünf langen Monaten zu athmen nicht gegönnt war, die belebende Luft, die ich mit gierigen Zügen einsauge…
    Am andern Ende des Ganges zeigt sich der mit Sternen besäete Himmel. Kein Schatten verhüllt ihn, und vielleicht kann ich jetzt aus Back-Cup entweichen.
    Ich werfe mich auf den Leib und krieche langsam, geräuschlos vorwärts.
    Als ich mit dem Kopf über die Mündung hinaus bin, sehe ich mich um…
    Niemand… niemand!
    Am östlichen Fuße des Eilands und damit nach der Seite hinschleichend, wo die Klippen jede Landung unmöglich machen, erreiche ich eine enge Einbuchtung, etwa zweihundert Meter von der Stelle, wo eine Uferspitze sich nach Nordwesten hinausschiebt.
    Endlich… bin ich aus dieser Höhle heraus… zwar noch nicht frei, es ist aber doch der Anfang der Freiheit.
    Auf der Spitze erkenne ich die Silhouetten einzelner unbeweglicher Wachposten, die selbst wie kleinere Felsblöcke aussehen.
    Das Himmelsgewölbe ist klar, und die Sternbilder leuchten in dem starken Glanze, den ihnen die Nachtkälte des Winters verleiht.
    Am nordwestlichen Horizonte zeigen sich, gleich einer Funkenlinie, die Positionslichter der Kriegsschiffe.
    Nach dem Auftauchen eines fahlen weißen Scheines im Osten urtheile ich, daß es etwa um fünf Uhr morgens sein mag.
    Am 18. November . – Schon ist es ziemlich hell geworden und ich werde meine Aufzeichnungen vervollständigen können, indem ich die Einzelheiten von meinem Besuche des Laboratoriums niederschreibe… vielleicht sind das die letzten Zeilen von meiner Hand!
    Ich beginne zu schreiben, und je nach der Reihenfolge der Vorgänge bei dem Angriffe, werden sie eine Stelle in meinem Hefte finden.
    Der seine und feuchte Dunst, der über dem Meere lagert, verschwindet bald unter der aufspringenden Morgenbrise. Endlich erkenne ich die signalisierten Kriegsschiffe.
    Sie liegen, fünf an der Zahl, in einer
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