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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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verschwanden.
    Ich lehnte mich zurück an mein Auto. Der Wind blies mir kühle, süße Luft entgegen. Ich war erst vor wenigen Wochen wieder ins Zivilleben zurückgekehrt. In der Zeit, in der ich die blaue Uniform der Royal Air Force trug, hatte ich zwar ständig an Yorkshire gedacht, aber ich hatte vergessen, wie schön es war. Jetzt genoß ich den Frieden, der hier oben herrschte, die Einsamkeit, das Gefühl der Nähe der Wildnis, das die Täler so aufregend und zugleich so tröstlich machte. In der Menschenmenge und Eintönigkeit der Städte mit ihrer stickigen Luft konnte ich mir einfach nicht vorstellen, daß es einen Ort wie hier gab, wo ich auf dem weiten grünen Dach Englands sein und mit jedem Atemzug den Duft des Grases einatmen konnte.
    Ich hatte einen beunruhigenden Morgen hinter mir. Wo ich auch hinkam, überall wurde ich daran erinnert, daß ich in eine veränderte Welt zurückgekehrt war. Ein alter Farmer hatte zu mir gesagt: »Heute macht man alles mit der Nadel, Mr. Herriot«, als ich seiner Kuh eine Spritze gab. Und ich hatte wie ertappt auf die Spritze in meiner Hand gesehen und mir gesagt, daß ich tatsächlich oft nichts anderes mehr tat, als Spritzen zu geben.
    Ich wußte, was er meinte. Noch vor wenigen Jahren hätte ich seiner Kuh wahrscheinlich eine Arznei eingeflößt. Ich hätte sie bei der Nase gepackt und ihr einen Halbliterkrug Medizin in die Kehle gegossen.
    Wir hatten immer eine besondere Flasche zum Einflößen von Medizin bei uns gehabt, eine leere Weinflasche mit einem langen schlanken Hals, aus dem die Flüssigkeit leicht herauslief. Oft mischten wir die Medizin mit der dunklen Melasse aus dem Faß, das in den meisten Kuhställen in der Ecke stand.
    All das gab es jetzt nicht mehr, und die Bemerkung des Bauern, daß man heute alles mit der Nadel machte, brachte mir wieder einmal zu Bewußtsein, daß alles sich veränderte.
    In der Landwirtschaft und im Alltag der Tierärzte hatte eine Revolution begonnen. Die Bestellung des Bodens wurde jetzt auf wissenschaftlicher Grundlage betrieben, und die Regeln, die über Generationen hin gegolten hatten, wurden plötzlich verworfen. Auch in der Tiermedizin gab es viele Neuerungen.
    Chirurgische Eingriffe wurden ausgeführt, von denen man früher nicht einmal gewagt hätte zu träumen, die Sulfonamide standen hoch im Kurs, und der Siegeszug des von Alexander Fleming entdeckten Penicillins kündigte sich an – in Form von kleinen Röhrchen zur Behandlung von Milchdrüsenentzündung, dem ersten eines ganzen Heeres von Penicillin-Präparaten.
    Auch deutete manches darauf hin, daß die kleinen Höfe nicht mehr lange existieren würden. Und die Kleinbauern, die manchmal nur sechs Kühe, ein paar Schweine und ein wenig Federvieh besaßen, stellten den größten Teil unserer Kunden dar. Außerdem waren sie die spaßigsten Typen, mit denen wir zu tun hatten. Aber sie fingen jetzt an, sich zu fragen, ob sie noch genug zum Leben verdienten, und der eine oder andere hatte bereits an einen größeren Farmer verkauft. Heute, in den achtziger Jahren, gibt es in unserer Gegend keine Kleinbauern mehr. Abgesehen von drei, vier alten Männern, die verbissen weitermachen, was sie immer getan haben, und zwar einzig und allein deshalb, weil sie es immer getan haben. Sie sind die letzten der Männer, die ich so geschätzt habe, sie leben nach alten Werten und sprechen noch Yorkshire-Dialekt, der durch Fernsehen und Radio fast ausgelöscht worden ist.
    Ich holte tief Luft und stieg wieder in mein Auto. Durch die Windschutzscheibe betrachtete ich die gewaltigen Berge, deren kahle Gipfel sich bis in die Wolken emporreckten, zeitlos und unzerstörbar. Nein, die herrliche Landschaft der Dales hatte sich nicht verändert...
    Ich machte noch einen Besuch und fuhr dann nach Hause, um zu sehen, ob ich vor dem Essen noch irgendwelche Besuche machen mußte.
    Auch bei uns in Skeldale House hatte sich vieles verändert. Mein Partner Siegfried hatte geheiratet und lebte jetzt ein paar Meilen außerhalb von Darrowby. Als ich aus dem Wagen stieg, sah ich an den Efeuranken über dem Mauerwerk zu den kleinen Räumen unter dem Dach hinauf, in denen Helen und ich zu Beginn unserer Ehe gewohnt hatten. Jetzt bewohnten wir mit unserem kleinen Jimmy das ganze Haus. Eigentlich war es viel zu groß für uns, aber wir waren glücklich hier, denn wir liebten beide die georgische Geräumigkeit und Großzügigkeit des alten Hauses.
    Es sah noch genauso aus wie damals, als ich es vor vielen
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