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Von Zweibeinern und Vierbeinern

Von Zweibeinern und Vierbeinern

Titel: Von Zweibeinern und Vierbeinern
Autoren: James Herriot
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umklammerte das Kalzium und die Spritze und drängte mich hinter ihm in die Küche.
    Myrtle lag ausgestreckt da und schüttelte sich in Krämpfen. Sie atmete keuchend, zitterte heftig, und Speichelfäden tropften aus ihrer Schnauze. Die Augen hatten ihren weichen Glanz verloren, sie wirkten glasig und hatten einen starrenden Blick. Aber sie lebte... sie lebte.
    Ich hob die winselnden Jungen hoch und legte sie auf ein Tuch, schnitt dann schnell ein paar Haare ab und reinigte die Stelle über der Radialvene. Ich führte die Nadel in die Vene ein und begann mit unendlicher Sorgfalt und sehr langsam den Kolben in die Spritze zu drücken. Bei dieser Krankheit war Kalzium das Heilmittel, doch wenn man es zu schnell injizierte, bedeutete es den sicheren Tod des Patienten.
    Ich brauchte mehrere Minuten, um die Spritze zu leeren. Dann hockte ich mich hin und wartete. In manchen Fällen war außer dem Kalzium auch noch ein Narkotikum erforderlich, und ich hatte Nembrutal und Morphium bereitgelegt. Aber Myrtles Atem wurde ruhiger, und die starren Muskeln begannen sich zu entspannen. Als sie anfing, ihren Speichel hinunterzuschlucken, und als ihre Augen zu mir wanderten, wußte ich, daß sie am Leben bleiben würde.
    Ich wartete, bis das letzte Zittern aus ihren Gliedern geschwunden war. Plötzlich legte sich eine Hand auf meine Schulter, Humphrey stand mit der Whisky-Flasche in der Hand hinter mir.
    »Willst du einen Schluck, Jim?«
    Er brauchte mich nicht zu überreden. Der Schrecken, daß ich beinahe verantwortlich für Myrtles Tod gewesen wäre, war mir in die Knochen gefahren.
    Meine Hand zitterte noch, als ich das Glas hob. Ich hatte kaum den ersten Schluck getrunken, als Myrtle aufstand und zu ihren Jungen ging und sie beschnupperte.
    Manche Eklampsien reagierten langsam auf das Medikament, aber bei manchen wirkte es überraschend schnell. Ich war, meiner Nerven wegen, dankbar, daß es in diesem Fall so schnell gewirkt hatte.
    So schnell, daß es kaum zu glauben war, denn nachdem Myrtle ihre Kinder beschnüffelt hatte, kam sie um den Tisch herum, um mich zu begrüßen. Ihre Augen sahen mich freundlich an, und sie wedelte, nach echter Beagle-Art – mit steil in die Höhe stehendem Schwanz.
    Ich streichelte ihr die Ohren, als Humphrey in ein kehliges Gelächter ausbrach.
    »Weißt du, Jim, heute abend habe ich was gelernt.« Er sprach schleppend, aber er war noch im Besitz seines Verstandes.
    »Und was hast du gelernt, Humphrey?«
    »Ich habe gelernt... hi-hi-hi... ich habe kapiert, was für ein alberner Geselle ich in all diesen Monaten gewesen bin.«
    »Wie meinst du das?«
    Er hob den Zeigefinger und bewegte ihn ernst hin und her. »Tja, du hast es mir ja immer wieder gesagt. Du hast jedesmal gesagt, ich hätte dich für nichts und wieder nichts aus dem Bett geholt und hätte mir nur eingebildet, daß mein Hund krank sei.«
    »Ja«, sagte ich. »Das stimmt.«
    »Und ich habe dir nie geglaubt, nicht wahr? Ich wollte es nicht hören. Aber jetzt weiß ich, daß du recht hattest. Ich bin ein Dummkopf gewesen, und es tut mir aufrichtig leid, daß ich dich in all den vielen Nächten gestört habe.«
    »Ach, mach dir deswegen keine Sorgen, Humphrey.«
    »Ja, aber es war nicht recht.« Er machte eine Handbewegung zu seinem strahlenden, mit dem Schwanz wedelnden Hündchen hin. »Sieh sie dir doch an. Jeder sieht, daß ihr heute abend nicht das geringste gefehlt hat.«

Kapitel 3
     
    Die Landstraße, die durch das Hochmoor führte, war an den Seiten nicht befestigt, und die Räder meines Wagens gerieten leicht von dem Teerband auf die Grasnarbe, die von den Schafen zu samtener Dichte abgeweidet worden war. Ich stellte den Motor ab, stieg aus und sah mich um.
    Die Landstraße verlief schnurgerade durch das Gras und das Heidekraut hindurch, ehe sie sich talwärts senkte. Dies war einer der schönen Plätze – von hier konnte ich in zwei Täler sehen, in das eine, das ich gerade verlassen hatte, und in das Tal, das vor mir lag. Die Landschaft lag mir sozusagen zu Füßen – sanfte Felder in der Talsohle mit grasendem Vieh und die Flüsse, an manchen Stellen mit steinigem Ufer, an anderen von dichten Bäumen gesäumt.
    Das helle Grün der von Mäuerchen umgebenen Weiden schob sich die Hänge der Berge hinauf, bis dorthin, wo das Heidekraut und das harte Moorgras begannen und nur das endlose Muster der Mauern übrigblieb, die zu den gesprenkelten Bergkuppen hinaufkletterten und hinter den kahlen Bergrücken, wo das Ödland begann,
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