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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig
Autoren: Theodor Fontane
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(die wir jeden Mittwoch kriegten – eine furchtbare Semmelpampe) war die frühlingsgrünste, die gesündeste, die schmackhafteste. Jegliches, was seine Hand berührte, nahm schon dadurch einen Höhenstandpunkt ein, in Wahrheit aber war alles nur knappzu mittelmäßig. Entschuldigt wurde diese tief in Komik getauchte Hochschätzung freilich durch zweierlei. Zunächst dadurch, daß die
ganze Zeit so war:
die Scheidung in echt und unecht, in reell und unreell, in anständig und unanständig hatte damals noch nicht stattgefunden; alles, mit verschwindenden Ausnahmen, war angefleckt und angekränkelt. Es ist denn auch ein barer Unsinn, immer von der »guten alten Zeit« oder wohl gar von ihrer »Tugend« zu sprechen; umgekehrt, alles ist um vieles besser geworden, und in der schärferen Trennung von gut und bös, in dem entschiedneren Abschwenken (namentlich auch auf moralischem Gebiete) nach rechts und links hin erkenne ich den
eigentlichsten Kulturfortschritt,
den wir seitdem gemacht haben. Ich bin sicher, jeder, der sich auf solche Fragen und Dinge nur einigermaßen versteht, wird mir hierin beistimmen.
    Aber der alte Rose, wie schon angedeutet, wurde nicht bloß durch die Zeitläufte, nicht bloß durch den allgemeinen Gesellschaftszustand entschuldigt, sondern ebensosehr oder vielleicht mehr noch durch seinen speziellen Lebensgang, will sagen durch das Milieu, darin er stand, auch, von Kindheit an, immer gestanden hatte. Sein Vater war ein ausgezeichneter Mann gewesen, und seine beiden Brüder, Heinrich und Gustav Rose, waren es noch. Unter diesen beiden Berühmtheiten bewegte er sich als ein Unberühmter, immer beinah krampfhaft bemüht, sich durch irgendwas Apartes als ein Ebenbürtiger neben ihnen einzureihn. Das führte denn natürlich zu lauter Halbheiten, unter denen sein Geschäft, sein guter Verstand und zuletzt auch sein Charakter zu leiden hatten. Er wurde mehr und mehr eine Zwittergestalt, ein Mann, der Apotheker hieß, während er doch eigentlich keiner war, weil er sich eben zu gut dafür hielt, und der nun allerlei Plänen und Aufgaben nachging, zu deren Bewältigung er weder die äußeren noch die inneren Mittel besaß. Obenan stand hier das Reisen. Er ging darin so weit, daß er sich ganz ernsthaft einbildete, etwas wie ein Entdecker oder Forschungsreisender zu sein, eine Gruppe von Personen, zu der er sich in Wirklichkeit doch nur verhielt wie ein Schlachtenbummler zu Moltke. Natürlich war er in Italien, Frankreich und England gewesen und hatte von London her – ganz charakteristisch für ihn und leider auch für unsre damaligen Gesamtzustände – die große Nachricht mitgebracht, »daß das Annähen eines Knopfes einen Schilling koste«. Da hatte man den Weltreisenden, der über einen Sechser nicht fortkonnte. Paris, London, Italien! Sein eigentlichstes Tummelfeld aber war die Schweiz. Hier bestieg er Berge bis zu 6000 Fuß und kam davon mit einer Siegermiene zurück, als habe sich etwas Ungeheuerliches zugetragen. Zu dieser Einbildung war er nun freilich bis zu einem gewissen Grade berechtigt; er litt nämlich, weil er kurzhalsig und ein Asthmatiker war, unter »Rigi« und »Schyniger Platte« ganz so, wie wenn er den Popokatepetl erstiegen hätte, und unterzog sich dieser Unbequemlichkeit auch nur deshalb, weil er nur so seine zweite, größere und weit über die Reiserei hinausgehende Leidenschaft zu befriedigen vermochte, die: vor einem aus jungen und zum Teil recht hübschen Professorenfrauen zusammengesetzten Kreise seine Reisevorträge halten zu können. Er war dann, den ganzen Tag über, in einer höchsten Aufregung, schnaufte durchs ganze Haus hin – wie denn Schnaufen überhaupt eine Haupteigenschaft von ihm war – und schleppte dabei Reliefkarten und illustrierte Werke vier Treppen hoch auf einen kleinen achteckigen Turm hinauf, der, ganz oben, mit einem mit vielen bunten Aussichtsglasscheiben reich ornamentierten Zimmer abschloß. Stieg man dann, und zwar durch eine aufzuklappende Lukentür, noch etwas höher hinauf, so hatte man, von einer umgitterten Plattform aus, einen wundervollen Überblick über Alt-Berlin. In diesem Turmzimmer, das nach Alchimie und Astrologie, nach Faust und Seni schmeckte, versammelten sich die zur Vorlesung geladenen Damen, und ich sage schwerlich zuviel, wenn ich ausspreche, daß der alte Rose in diesem Allerheiligsten die glücklichsten Stunden seines Daseins verbracht habe. Daß die Damen von einem gleichen Glücksgefühl erfüllt gewesen wären,
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