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Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig
Autoren: Theodor Fontane
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möchte ich bezweifeln, weil der Vortragende, in Verkennung seiner Gaben, auch allerlei Witziges und Humoristisches einzustreuen liebte, will also sagen grade
das,
was ihm, neben Grazie, die Natur am meisten versagt hatte.
    Dies alles klingt nun ein wenig lieblos und ist insoweit auch unverdient, als mein Lehrherr, gemessen an der Mehrzahl seiner Kollegen, immer noch von einer gewissen Überlegenheit war; in einem allerwichtigsten Punkt aber war er doch wirklich um ein erkleckliches schlimmer als diese. Das war, wie schon angedeutet, die tief eingewurzelte Vorstellung von seiner sittlichen Potenz, eine Vorstellung, deren ungewöhnliches Höhenmaß nur noch von ihrer Unberechtigtheit übertroffen wurde.
    Soviel über König Artus selbst, woran ich zunächst nur noch ein Wort über seine Tafelrunde, will sagen seine Gehülfen und Lehrlinge, zu knüpfen habe. Diese letztren, die Lehrlinge also, waren – was sich auch später, in andren Offizinen, immer wiederholte – allerliebste junge Leute, frisch, gescheit, talentvoll, aus denen, ausnahmslos, auch was geworden ist. Daß dem so sein konnte, lag daran, daß sie sämtlich aus guten Häusern stammten, also die berühmte »gute Kinderstube« gehabt hatten. Die Bedeutung davon ist meist entscheidend fürs Leben und gar nicht hoch genug zu veranschlagen. Die altpreußische Redensart »Je ärmer, je besser« ist eine Torheit. Gäbe es eine einfache Armut, eine Armut an sich, so ließe sich über den Wert des bloßen Entbehrenlernens streiten; aber den von der landesüblichen Armut unzertrennlichen Druck, diesen und seine Wirkung – ein paar Kraftnaturen natürlich abgerechnet – werden die Durchschnittmenschen nicht wieder los. Und deshalb waren denn auch die Gehülfen ein vorwiegend minderwertiges Material, weil sie meist aus kleinen elenden Verhältnissen herkamen. Sie katzbuckelten und setzten sich dann zur Entschädigung aufs hohe Pferd, wo sie's irgendwie glaubten riskieren zu können. Scheiterten sie auch damit, so blieb ihnen immer noch das Intrigieren. Die besten waren deshalb in der Regel die, die sich schon der Karikatur näherten, und wenn sie nicht die besten waren, so waren sie doch jedenfalls die interessantesten. Unter diesen stand mein Freund
Martin Döring
obenan. Er war, eh er Apotheker wurde, mehrere Jahre lang in Wiesbaden oder Biebrich Soldat gewesen, weshalb wir ihn »unsren Nassau-Usinger« nannten. Er hatte ganz die Haltung eines kleinstaatlichen Unteroffiziers aus dem vorigen Jahrhundert, gradlinig und steif wie ein Ladestock, langer Rock, schwefelgelbe Weste und eine hohe schwarze Militärbinde. Martin Döring, ein guter Kerl, war wohl schon über vierzig. Unvergeßlich ist er mir durch ein besondres Malheur geworden, das eines Tages über ihn hereinbrach. Er war eigentlich sehr tugendhaft; einmal aber litt er doch Schiffbruch und kam dadurch in die Lage, sich eines Arztes versichern zu müssen. Er wählte dazu, höchst unklugerweise, den Roseschen Hausarzt, Geheimrat Dr. Bartels – Großvater des gegenwärtigen Sanitätsrats –, der ihn einfach an die Luft setzte, nachdem er ihm vorher eine Rede gehalten, in der das Wort »ungehörig« in allen möglichen und zum Teil sehr starken Schattierungen wiederkehrte. Der arme Mensch wollte sich denn auch das Leben nehmen, beruhigte sich aber wieder, nachdem er sich, in einer beneidenswert würdigen Haltung, über »Humanität« und »christliche Gesinnung«, die beide durch Bartels schwer geschädigt worden seien, gegen mich ausgesprochen hatte.
    Zur selben Zeit, als wir uns dieses guten »Nassau-Usingers« erfreuten, hatten wir auch einen viven kleinen Sachsen in unsrer Mitte, der ein Bruder des damals noch unberühmten und seinen städtischen Beinamen noch nicht führenden Schulze-Delitzsch war. Dieser letztre, zu jener Zeit noch Assessor, sprach öfter bei uns vor und brachte mir seine nun wohl schon längst in Vergessenheit geratenen Dichtungen mit, an denen ich mich aufrichtig erbaute. Besonders an einem Liede, das glaub' ich »Der Verbannte« oder »Der Geächtete« hieß und mit den Worten schloß:
     
    Frei allein sind im Walde die Vögel,
    Und ich, ich bin vogelfrei ...
     
    Das erschien mir großartig, und ich war ganz hingerissen davon.
    Ich habe bis hierher von den Personen im Hause gesprochen und möchte nun auch erzählen, wie das Leben darin war. Dies hatte manches Eigentümliche, was zum Teil an der lokalen Umgebung lag, zu der, wie schon eingangs erwähnt, auch die Garnisonkirche
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