Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
würde, für die Berlin als Versammlungsort ausersehen sei. Besonders vom Rheinland her, so hieß es weiter, seien für diese Versammlung bereits Anmeldungen eingetroffen, und zwar in so großer Zahl, daß man, behufs gastlicher Unterbringung derselben, um Adressen bäte. Das gefiel mir außerordentlich, und weil ich über ein freies Zimmer verfügte, so schrieb ich nicht bloß, mich ganz allgemein zur Verfügung stellend, an das Komitee, sondern bat mir auch im speziellen Ferdinand Freiligrath als wünschenswertesten Gast aus. Ich erhielt glücklicherweise keine Antwort. Das Komitee war klüger als ich und begriff den Unsinn, einen blutroten Revolutionär – der Freiligrath damals wenigstens war – ganz gemütlich in Bethanien einquartieren zu wollen. Was ich mir dabei gedacht, ist mir noch nachträglich ganz unerfindlich. Alles in allem ein Musterstück unzulässigster Poetennaivität.
    Inmitten dieses Treibens war ich auch literarisch tätig, und zwar mit ganz besondrer Lust und Liebe. Was kaum wundernehmen durfte. Denn zum erstenmal in meinem Leben stand mir so was wie volle Muße zur Verfügung; ich brauchte mir die Stunden nicht abzustehlen und war in ungetrübter Stimmung, was fast noch mehr bedeutet als Muße. Mancherlei, was ich bald danach herausgab, ist in jenen bethanischen Tagen entstanden, auch eine meiner bekannteren und vielfach in Anthologien abgedruckten Balladen, die den Titel »Schloß Eger« führt und das Massacre der Wallensteinschen Feldobersten Illo, Terzky und Kinsky schildert. Es ist das einzige meiner Gedichte, das ich in wenigen Minuten aufs Papier geworfen habe, buchstäblich stante pede. Beim Ankleiden überkam es mich plötzlich, und einen Stiefel am Bein, den andern in der linken Hand, sprang ich auf und schrieb das Gedicht in einem Zuge nieder. Habe auch später nichts daran geändert. Als ich es tags darauf im Tunnel vorlas, sagte Friedrich Eggers: »Ja, das ist ganz gut, aber doch eigentlich nur Kulissenmalerei«, wofür ich mich bei ihm bedankte, hinzusetzend, seine halb tadelnde Bemerkung sei durchaus richtig, aber dergleichen müsse auch ganz einfach mit einem großen Pinsel heruntergestrichen werden. Derselben Meinung bin ich auch heute noch.
    Über das Leben, das ich all die Zeit über mit Wilms führte, nicht intim, aber doch voll aparter Züge, spräche ich gern, versage mir's aber und beschränke mich darauf, eine ganz bestimmte Szene zu schildern, an der Wilms teilnahm und die wie manches andere, was ich in voraufgehenden Kapiteln erzählt habe, als ein Beweis dafür gelten mag, wie überall da, wo strenge Ordnungen herrschen, ein gewisser natürlicher Zug in den Menschen lebt, diese Ordnungen zu durchbrechen, nicht aus großer Veranlassung, sondern umgekehrt aus einem kleinen, ganz untergeordneten Hazardiertrieb und ein wenig auch wohl aus der jugendlichen Lust, sich über den Ernst des Lebens zu mokieren.
    Es war in den ersten Januartagen 1849, und ich hatte vor, zur Nachfeier meines am Schluß des Jahres stattgehabten Geburtstages eine kleine Gesellschaft zu geben; zwei Tunnel-Freunde waren geladen, außer ihnen aber sollten auch Wilms und der Inspektor und ein Leutnant von Karger, der als Kranker in Bethanien war, an der Festlichkeit teilnehmen. Leutnant von Karger war ein sehr charmanter junger Herr, der sich in einer kalten Manövernacht einen bei schon vorhandener Nervenschwäche nur allzugut gediehenen Kolossalrheumatismus angeeignet hatte und nun bereits monatelang in Wilms' und der andern Ärzte Behandlung war. Er humpelte ganz vergnüglich im Hause umher, sagte jedem Verbindliches und wurde beinah mehr als Gast wie als Kranker angesehn. Er war aber wirklich krank. Daß er in den Künsten dilettierte, braucht kaum noch versichert zu werden. Was im übrigen meine Festlichkeit anging, so war, neben dem, was ich aus der bethanischen Küche bezog, außerdem noch durch Ankauf von Datteln, Marzipan und Pfannkuchen ausgiebig gesorgt worden. Auf einem Tisch mit Steinplatte stand des weiteren ein Kohlenbecken mit einem Kessel darin, also etwas Samowarartiges. Es handelte sich aber durchaus nicht um Tee, sondern um einen festen Grog, und als dieser endlich hergestellt war, war auch das Eis gebrochen, das bis dahin den freien Gang der Unterhaltung gehindert hatte. Der Inspektor wurde mehr und mehr Mensch, Wilms, eigentlich steif und zugeknöpft, war gar nicht mehr er selbst, und Karger und ich brauchten nicht erst animiert zu werden. Dasselbe galt von den zwei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher