Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Von Zwanzig bis Dreißig

Von Zwanzig bis Dreißig

Titel: Von Zwanzig bis Dreißig
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
übertrug ich mein Vertrauen auch auf diesen; die Deutschen mußten siegen. Und nun Idstedt! Ich war ganz niedergeschmettert, und etliche Tage danach befand ich mich auf dem Wege nach Kiel, um in eins der regelrechten Bataillone einzutreten. Aber es war anders beschlossen, wie ich schon in einem früheren Kapitel erzählt habe. Gleich nach meinem Eintreffen in Altona, wo ich Station gemacht und im Hause eines kleinen holsteinschen Schulmeisters Quartier genommen hatte, traf mich ein mir aus Berlin nachgeschickter Brief mit Amtssiegel. Solche großgesiegelte Schriftstücke haben immer etwas Ängstliches für mich gehabt, und ich überlegte, was ich verbrochen haben könnte. Zuletzt aber half kein Zögern, und ich erbrach das Schreiben. Es enthielt die Mitteilung seitens meines väterlichen Freundes und Gönners W. von Merckel, daß ich im sogenannten »Literarischen Bureau« des Ministeriums des Innern eine diätarische Anstellung gefunden hätte. Das war eine große Sache. Der Mensch bleibt ein Egoist. Idstedt hatte mich aufrichtig erschüttert, und das Schicksal der beiden »ungedeelten« lag mir nicht bloß redensartlich am Herzen; aber in diesem Augenblick siegte doch das Ich über das Allgemeine. Zwei Briefe schrieb ich noch in selber Stunde, von denen der eine an W. von Merckel gerichtete dankbarst akzeptierte, während der andre im Telegrammstil lautete: »Schleswig-Holstein aufgegeben. Wenn dir's paßt, im Oktober Hochzeit.«
     
Zweites Kapitel
     
Hochzeit
    Diese lapidare Mitteilung, der selbstverständlich Näheres auf dem Fuße folgte, ging nach Liegnitz. In der Antwort meiner Braut hieß es: »Also Oktober! Alle Verwandten, wie du dir denken kannst, haben lange Gesichter gemacht; aber niemand hat zu widersprechen oder auch nur abzuraten gewagt.« Hinzugefügt war seitens meiner Braut, daß sie demnächst nach Berlin kommen, eine Wohnung mieten und unsren »Trousseau« beschaffen werde.
    Das geschah denn auch, und wir fanden alsbald eine Wohnung in der Puttkamerstraße.
    Der 16. Oktober wurde von uns als Hochzeitstag angesetzt – es sei zwar ein Schlachttag, aber doch mit schließlichem Sieg –, und als wir nah an diesen Tag heran waren, gingen wir zu Konsistorialrat Fournier, meinem alten Gönner aus Konfirmandentagen her, mit der Bitte, uns trauen zu wollen. Wir fürchteten uns ein wenig vor diesem Gange, weil er nicht bloß ein Mann von sehr vornehmen Allüren, sondern auch von sehr praktisch nüchternem Verstande war, der als solcher sehr wahrscheinlich allerlei Bedenken, vielleicht sogar Mißbilligung äußern würde. Meine Braut, die er noch nicht kannte, machte aber ganz sichtlich einen überaus günstigen, beinah heitren und wie zur Schelmerei stimmenden Eindruck auf ihn, so daß er uns sofort in sein Herz schloß und, statt uns herabzudrücken, uns erhob und ermutigte. Diese vom ersten Tag an uns erzeigte Liebe hat er uns bis an seinen Tod bewahrt, so daß wir, zwanzig Jahre später, den zur Notorität gelangten und seinerzeit so viel besprochenen Fournier-Streitfall schmerzlich beklagten, eine Sache, die bestimmt war, diesem trotz mancher Eigenheiten – und zum Teil um derselben willen – sehr ausgezeichneten Mann die letzten Lebensjahre zu vergällen. Er trat aus seinem Amte zurück. Ich gedenke noch seiner Abschiedspredigt, in der er, vor seiner ihn verehrenden Gemeinde, seinen Prozeß und seine Verurteilung leise berührte. Kein Ton von Bitterkeit drang durch. Das Gericht, das ihn verurteilt hatte, konnte nicht anders sprechen als es sprach; aber alles in der Sache war doch heraufgepufft und in den Motiven verzerrt. Er war strenggläubig, aber kein Zelot und stand – oft gerade da, wo er entrüstet schien – durchaus
über
den Dingen, mehr vielleicht, als er seiner Stellung und seinem Bekenntnis nach durfte. Durch und durch »Figur«, war er noch ganz von der alten Garde, deren Reihen sich immer mehr lichten. Dem Rechtsurteil, das ihn traf, unterwarf er sich nicht nur äußerlich, sondern auch in seinem eignen Gemüte. »Es ist meine Strafe; sie trifft mich da, wo ich gefehlt.« Denn er wußte sehr wohl, daß Hochmut der Fehler seines Lebens gewesen war.
    Wir hatten natürlich auch einen Polterabend, und die kleinen Räume waren ganz gefüllt, da nicht nur Verwandtschaft, sondern auch viele Tunnel-Mitglieder erschienen waren, einige davon direkt abdeputiert, um uns unter freundlicher Ansprache – Heinrich Smidt als Redner – ein hübsches und beinah wertvolles Geschenk zu überreichen.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher