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Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Von ganzem Herzen Emily (German Edition)

Titel: Von ganzem Herzen Emily (German Edition)
Autoren: Tanya Byrne
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besonders, wer ich bin oder was ich fühle. Du willst einfach nur wissen, was passiert ist. Was ich getan habe und warum ich es getan habe. Deswegen liest du das alles hier doch, oder?
    Okay, dann erzähl ich dir jetzt, warum ich es getan habe.
    Nach dem Streit mit Juliet kam Sid am Abend noch zu mir.
    Er war vorher noch nie bei mir gewesen – ich glaube, er wusste nicht mal, wo ich wohnte –, aber da stand er auf einmal, als ich die Wohnungstür öffnete. Blass und erschöpft, die Hände in den Hosentaschen.
    »Ich kann jetzt nicht nach Hause«, sagte er, noch bevor ich ihn begrüßt hatte, und er klang atemlos, als wäre er den ganzen Weg vom Krankenhaus bis zu meiner Wohnung gerannt.
    »Vielleicht keine so gute Idee, zu mir zu kommen«, sagte ich, aber ich ließ ihn herein. Im Flur zog er hastig die Jacke aus und stieß die Tür mit dem Fuß hinter sich zu.
    »Alles in Ordnung?«
    »Was ist los, Sid?«, fragte ich, während wir ins Wohnzimmer gingen. Aber ich wusste es. Sobald ich ihn sah, wusste ich es.
    Ich wartete darauf, dass er es mir sagte. Meine Hände zitterten, als ich mich zu meinen Zigaretten auf dem Couchtisch hinunterbeugte. Ich zündete mir eine an, und er schaute mir dabei zu. Vielleicht wartete er darauf, dass ich sie nach einem Zug an ihn weiterreichen würde, aber ich tat es nicht.
    »Ich wollte nur wissen, ob bei dir alles okay ist«, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu.
    Er bemerkte den herzförmigen blauen Fleck auf meiner Wange und starrte ihn an, deshalb drehte ich mein Gesicht weg. »Mir geht’s gut.«
    »Wirklich?«
    Ich zog an meiner Zigarette und blies den Rauch in Richtung Fernseher. Ich weiß noch, dass gerade eine Werbung für ein Möbelgeschäft oder einen Supermarkt lief. Ein kleiner Junge in einem karierten roten Schlafanzug riss ein Weihnachtsgeschenk auf. Als
Rockin’ Around the Christmas Tree
erklang, griff ich mir die Fernbedienung vom Sofa und stellte den Fernseher aus. Danach war es in der Wohnung still – zu still. Dafür rauschte das Blut in meinen Ohren umso lauter. So laut, dass ich schon fast erwartete, mein Nachbar würde gleich gegen die Wand klopfen und mir zubrüllen, ich solle gefälligst leise sein. Fast überhörte ich, wie Sid fragte: »Das hast du nicht wirklich getan, oder?«
    »Was getan?«, fragte ich. Bis heute weiß ich nicht, warum. Vielleicht wollte ich hören, wie er es laut aussprach.
    »Mit Mike geschlafen.«
    »Geht dich das was an?«, fragte ich und drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Couchtisch aus. »Ich kann doch schlafen, mit wem ich will.«
    Danach blickte ich ihn an. Ich zwang mich, ihm in die Augen zu schauen.
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Das würdest du nicht tun.«
    »Warum nicht?«
    Trotzig sagte er noch einmal: »Nein. Die Rose, die ich kenne, würde das nicht tun.«
    Fast hätte ich laut gelacht.
    Rose.
    Wir schauten uns einen Augenblick quer durchs Wohnzimmer an, und rückblickend glaube ich jetzt, dass er mich vielleicht hätte lieben können. Ich hatte ihn manchmal dabei erwischt, wie er mich ansah, nicht ganz so, wie er Juliet ansah, aber trotzdem; wir gingen nebeneinander durch den Park und diskutierten über irgendwelche Songtexte, und er schaute mich an, als versuchte er, etwas herauszufinden, als wartete er darauf, dass ich ihn noch einmal zum Lachen brachte oder ihn wegen seiner Schwäche für Bruce Springsteen aufzog, und danach wäre er sich sicher gewesen. Und ich hätte ihn auch lieben können. Wild und überbordend, so wäre meine Liebe gewesen. Eine Liebe, die jeden Moment einen Rucksack packen und in die Welt davonstürmen möchte. Eine Liebe, wegen der man Kriege beginnt und Regierungen gestürzt werden.
    Doktor Gilyard hat recht. Ich hätte Rose werden können. Er hätte nie erfahren, dass es auch noch eine Emily gab. Ich hätte ihn umarmen und küssen können, bis er nicht mehr atmen konnte. Bis er alles vergessen hätte außer meinem Namen. Aber er schaute ja nicht mich an. Er schaute Rose Glass an. Und ich bin nicht Rose Glass. Ich bin nicht sechzehn. Ich habe nie in Barnsbury gewohnt. Noch nicht mal meine Haare sind rot.
    »Ich bin nicht die, für die du mich hältst«, sagte ich, und er blickte mich verwirrt an.
    »Doch, Rose.«
    Da dachte ich an Juliet, daran, was sie getan hatte und wie ich mich an ihr rächen wollte, und etwas in mir flammte wieder auf.
    »Du kennst mich nicht, Sid. Du weißt nicht, was ich getan habe. Wozu ich fähig bin.«
    Er machte einen Schritt auf
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