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Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)

Titel: Von der Wüste und vom Meer: Zwei Grenzgänger, eine Sehnsucht (German Edition)
Autoren: Achill Moser , Wilfried Erdmann
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breit und von etwa 60 Meter hohen Dünenzügen flankiert waren. In diesen Talungen erheben sich seltsamerweise in Abständen von etwa drei Kilometern kleine Stufen aus hartem Sand. Der Sand auf der Talsohle war rostrot, die Dünen jedoch zeigten auf beiden Seiten honiggelbe Farbe.
    Am nächsten Morgen ging es hinein in die Wüste. Zehn Tage wanderte ich im Gebiet der Wahiba Sands – von Norden nach Süden. Ich folgte einem langgezogenen Wadi, einer sandigen Piste und vielen welligen Tälern, flankiert von hohen, sich übergipfelnden Dünen, die sich zu beiden Seiten meines Weges erstreckten. Zehn Tage, in denen die Sonne zwischen Morgen- und Abenddämmerung mit grellem Licht vom Himmel brannte. Eine Helligkeit, die in jeden Quadratmeter dieser Landschaft einzudringen schien, während die Luft über dem Erdboden gelegentlich flimmerte und wie ein durchsichtiger Film über dem Gelände lag.
    Zehn Tage zu Fuß in einer weltweit einmaligen Wüste, in der meine Wanderung keine Extremtour war, eher eine Tour großer Momente. Zehn Tage, in denen das Gehen fast alle meine Gedanken in Anspruch nahm. Alles Überflüssige war ausgeblendet, die Beine liefen rhythmisch, die Füße rollten ab, die Arme schwangen unterstützend mit, und die Lunge atmete dazu. Zehn Tage wanderte ich zumeist im Vier-Schritte-Tempo. Was das heißt? Vier Schritte gehen, dann einatmen, wieder vier Schritte gehen, dann ausatmen. Kilometer für Kilometer. Alles war Bewegung, alles erschien mir ganz leicht, jeder Schritt, jede Atmung, selbst der Rucksack drückte kaum, war Teil meines selbstvergessenen Gehens. Ich war Herr meiner Zeit, meines Schicksals und spürte bald schon eine große Leichtigkeit. Was für ein wunderbares Gefühl, wie ein Kind durch die Welt zu laufen: übermütig, unbeschwert, neugierig.
    Selbst der Körper veränderte sich, war nicht mehr so ungelenk und kantig, eher weich und meditativ. Besonders in den frühen Morgenstunden, wenn die Sonne noch nicht so hoch stand und die Luft herrlich frisch war, tankte mein Körper Energie, von der ich den ganzen Tag lebte, wenn ich schweigsam voranging, das Alleinsein genoss und meine Augen alle möglichen Sandstrukturen und Farbkompositionen aufsaugten. Eine kaum zu bewältigende Bilderflut. Landschaftsbilder von archaischer Eintönigkeit und sinnlicher Wucht, die in dieser Region oft einem abstrakten Gemälde glichen. Kargheit und Leere in immer neuen Variationen. Ewigkeit im Augenblick.
    Tagsüber, im grellen Sonnenlicht, wirkten die Sandketten eher blass, fahl und konturenlos. Auch im Gegenlicht erschienen sie mir beinahe grau und trist. Doch am frühen Morgen und am Abend erlebte ich eine Explosion der Farben. Dann zeigten sich die windgeformten Dünenhänge in einem Gemisch aus Rot, Orange, Gelb, Braun und Weiß. Manchmal blieb ich minutenlang stehen, betrachtete den Sand und konnte mich nicht sattsehen am Anblick der Farben. Oft waren sie so vielfältig, dass ich manche gar nicht benennen konnte, weil ich kein Wort dafür wusste. Kaum eine andere Wüste bietet eine so abwechslungsreiche Farbenpracht. Die Wahiba-Beduinen sollen mehr als hundert Bezeichnungen für die Farben des Sandes kennen.
    Hinzu kam der Formenreichtum des Sandes: gewaltige Dünenzüge, parallel verlaufend, mit prägnantem Charakter. Scharfe Grate, alpine Verwerfungen, bullige Rundungen, Riffe, Kegel, Kessel – alles aus Sand. Jede Düne, jede Dünenkette war anders gestaltet, keine glich der anderen. Ich sah Flugsandwellen mit konkaven und konvexen Oberflächen, sah Dünen, die seltsamen Kreaturen glichen, mal weich geschwungen, mal spitz zulaufend. Dann wieder mächtige Sicheln und horizontale Schlangengebilde. Sandformationen, die sich wie lebende Organismen bewegten, angetrieben durch die Luftströme des Windes. Aerodynamik, die eine ungeheure Formenvielfalt schuf – auch im Detail: Ich sah zauberhafte Rippung und Riffelung, skurrile Maserungen und kräuselnde Wellen. Myriaden von Mustern und Strukturen. Ein unglaublicher Reichtum an Nuancen und Schattierungen. Sandmeere als ästhetische Kunstform: wild und archaisch.
    Dann war da der Wind, der stetig über die hohen Kämme der Dünen blies, sobald das Licht des glühend-flammenden Sonnenuntergangs verschwunden war. Fast täglich fauchte er mit schneidenden Böen zwischen sechs und neun Uhr abends heran. Kein wirbelnder Sturm, bei dem man weder Oben noch Unten unterscheiden konnte, sondern ein unablässiges Wehen, das den Sand aber so in Aufruhr brachte, dass
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