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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Deine Sorgen möcht’ ich haben.
    „Ich bin eingekreist. Eingekreist von Tieren, die ich nich sehn kann, die ich nich greifen kann, die mich zerreißen woll’n. Sie bestehen aus… aus geronnenem Haß bestehen die!“ Nedomanski spülte einen doppelten Klaren hinunter.
    „Sie werden nicht aus dem Nichts entstanden sein…“
    „Kann ich dafür, daß ich so bin, wie ich bin? Soll’n sie mich doch nehmen, wie ich bin! Wir könnten doch alle in Ruhe und Frieden… Jeder muß eben so verbraucht wer’n, wie er ist. Aber noch hab ich Kraft genug, um denen zu zeig’n, wer ich bin! Die wer’n sich noch umgucken wer’n die sich noch!“ Plötzlich verpuffte seine Kraft, und er wurde weinerlich. „Keiner mag mich! Denen wäre es am liebsten, wenn ich auf der Stelle tot umfallen würde…“
    „Wem wäre das am liebsten?“
    „Wem? Na, allen! Meinem Bruder, meiner Frau, meinem Neffen, meiner Sekretärin, meinem Gärtner – was weiß ich, wem noch… Schmeißfliegen sind das; Aasgeier, die nur warten, bis ich abkratze… Mich will keiner, aber mein Geld – das woll’n se alle!“ Er rülpste. „Ich komm aus kleinen Verhältnissen“, fuhr er fort, „und ich hab mich hochgearbeitet… War mühsam genug, sag ich Ihnen. Und nun muß ich mich mit diesem Gesocks rumquälen. Ich komm nicht mehr los von ihnen. Die sind mir überall angewachsen. Haben sich überall festgesaugt an mir… Ich werd siemunfuffzig, ja? Ich kann doch kein neues Leben mehr beginnen! Ich muß doch im alten Trott weitermachen… Und woanders ist es auch nicht besser. Wir müssen uns eben ertragen… Hör’n Sie, Borkenhagen, Sie sind Akademiker, aber ich – ich komm vom Hinterhof, drei Treppen; und ich sag Ihnen: denen möchte ich mal richtig vor den Koffer kacken… Prost!“
    „Prost!“ Borkenhagen unterdrückte ein Gähnen. Er hatte allmählich genug getrunken. Als die Serviererin vorbeikam, versuchte er, sich gegen ihre breiten Hüften zu legen. Sie stieß ihn zurück. Er stand auf und torkelte zur Toilette. Nachdem er leicht schwankend uriniert hatte, wusch er sich das Gesicht mit kaltem Wasser ab.
    Aber die Gaststube blieb düster, quallig, unwirklich. Die Leute bewegten sich noch langsamer als Schildkröten. Nur die Stimmen waren hell und beißend. Wenn ich doch bloß auf einen Knopf drücken könnte und mit einem Schlag wieder nüchtern wäre, dachte er. Sein Magen schmerzte; er verzog das Gesicht.
    Nedomanski starrte ihm mit geweiteten, feucht schimmernden Augen entgegen. „Lachen Sie, Borkenhagen! Sie könn’ noch lachen…“
    „Was gibt’s denn auf dieser Scheißwelt zu lachen?“
    „Dann kommen Sie mal auf meine Beerdigung – da könn Sie die Leute lachen sehn! Und wie! Endlich isser dot, der Alte! Dieser Zyniker, dieser Egozentriker, dieser Egoist!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Gläser tanzten: „Ein Königreich für den, der wirklich, der ehrlich weint, wenn ich mal abkratze! Der soll alles kriegen, was ich ein Leben lang zusammengetragen habe… Aber den gibt’s ja nicht! Und ich mach nicht mehr lange; ich hatte neulich ‘ne Herzattacke – na! Sie, ich dachte, jetzt isses aus. Fürchterlich! Und meinen Sie, wie die schon innerlich gejubelt haben…“
    Borkenhagen hatte endgültig die Nase voll. Was interessierte ihn schon das Gewäsch dieses reich gewordenen Pillendrehers! Wär ich nicht mitgegangen, dachte er, hätte ich schon 50 oder 60 Mark verdient… Er wagte aber auch nicht, abrupt aufzustehen. Wahrscheinlich hätte Nedomanski getobt; er hatte bestimmt noch einigen Seelenmüll abzuladen… Um ihn von sich aus zum Aufbruch zu bewegen, begann Borkenhagen zu blödeln.
    „Ich hab mal ‘nen Roman gelesen, da ist ein reicher Mann in der gleichen Lage wie Sie. Er hat ‘n Haufen Geld, aber alle, die als Erben in Frage kommen, die mögen ihn nicht. Was macht er da? Er fällt um, stellt sich tot und hört zu, was seine Sippe von sich gibt… Natürlich geht’s gut aus, denn die Dienstmagd, die er immer verprügelt hat, liebt ihn… Na ja, oder so ähnlich.“
    Nedomanski starrte ihn an. „Mensch…“ Man sah, wie es in ihm arbeitete. „Mensch, das ist ‘ne Idee!“
    „Da war auch noch ein Arzt, mit dem er unter einer Decke gesteckt hat. Der hat ihn untersucht und weise Reden geführt, so daß es jeder geglaubt hat.“
    Nedomanski dachte nach. „Wo soll ich denn einen Arzt herkriegen, der das mitmacht?“ Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf: „Den Arzt machen Sie!“
    „Klar!“
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