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Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen

Titel: Von Beileidsbesuchen bitten wir abzusehen
Autoren: Horst Bosetzky , -ky
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Als der Wagen am Bürgersteig hielt, stellte er die Uhr ab und schaltete die Innenbeleuchtung ein. „Macht vierachtzig“, sagte er, während er sich nach hinten wandte.
    Nedomanski hielt einen Haufen Kleingeld in der offenen Hand und suchte ein Fünf-Mark-Stück heraus. „Stimmt so!“ Schon wollte er die Tür aufklinken, da stutzte er. „Mensch, Sie kommen mir so bekannt vor – haben Sie mal bei mir gearbeitet?“
    „Nein, bestimmt nicht.“
    „Dann kenn ich Sie vom Bowling…?“
    „Auch nicht.“
    „Ich seh doch an Ihrem Grinsen, daß Sie mich kennen! Wenn Sie ausposaunen, wo Sie mich eingeladen haben, dann… Na los – raus mit der Sprache!“
    Borkenhagen war nicht der Mann, der von Stolz und Selbstbewußtsein strotzte und Nedomanski kurzerhand hinausgeworfen hätte. Er kuschte lieber und ließ sich verprügeln, um hinterher adäquat beschreiben zu können, wie einem zumute ist, wenn man kuscht und verprügelt wird. So sagte er nur: „Sie kennen mich vom TuS Westend. Leichtathletik. Ich bin die Hundert mal in elf Sekunden gelaufen. Elfnull…“
    „Borkenhagen! Mensch, Sie waren mal meine große Hoffnung. Sie wollte ich mal in Rom und Tokio laufen sehen. Und Sie hätten einen Haufen Geld verdienen können, wenn Sie dann in meine Werbung eingestiegen wären. Wir machen ja auch so einen Krafttrunk – NEDO-Sport. Kennen Sie sicher… Aber es gibt ja auch noch was anderes zu trinken. Kommen Sie, fahren wir zur Heerstraße; ich kenn da ein nettes Lokal.“
    „Gern, aber ich muß noch…“
    „Ich lade Sie ein – und da gibt es keine Widerrede!“
    Borkenhagen fügte sich und vergaß, über den Zusammenhang zwischen Schwäche und Neugierde nachzudenken.
    Wenig später saßen sie in der Nische eines kleinen Lokals und begannen zu trinken. Es ging ganz systematisch zu, jede Viertelstunde ein Bier und ein Korn.
    „Das waren noch Zeiten, was?“ Nedomanski strahlte. „Du warst ja Klasse damals, und eure Staffel auch: Vierundvierzig-drei – weiß ich noch wie heute… Was ist denn aus den anderen geworden?“
    „Keine Ahnung. Ich hab sie alle drei aus den Augen verloren…“
    Nedomanski redete schon wieder, erging sich in Sportreminiszenzen, und Borkenhagen fühlte sich plötzlich wohl. Nedomanski gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit, der Zugehörigkeit zu einer Clique, unter deren Schutz einem nichts mehr geschehen konnte. Er brauchte nur zu trinken, zuzuhören und zu nicken, um Nedomanskis Wohlwollen zu finden. Er spürte genau, wie er dem anderen von Minute zu Minute sympathischer wurde. Es schmeichelte ihm.
    „Was macht denn Rudi Buchmann?“ fragte er.
    „Der? Der handelt mit Verpackungsmaterial. Sein Geschäft floriert – und er defloriert!“ Nedomanski bog sich vor Lachen.
    Borkenhagen lachte mit. „Sie sind immer noch der Alte“, sagte er.
    „Nichwah?“ Nedomanski war in seinem Element. Er erzählte Geschichten und Anekdoten aus seinem Betrieb, seinem Bowlingclub, seiner Sauna und vor allem von seinen vielen Reisen. Doch je mehr er trank, desto verkrampfter wurde seine Munterkeit. Wie ein Ballon erschien er Borkenhagen, dem langsam, aber sicher die Luft ausging. Schließlich saß er schweigend da und starrte in sein Glas.
    Borkenhagen, der ziemlich trinkfest war, registrierte mit einer gewissen Genugtuung, wie Nedomanski in dumpfes Grübeln versank, und er war klug genug, zu schweigen.
    Nedomanski begann wieder zu sprechen, langsam und abgehackt; manche Worte verschluckte er. Nicht daß er schwer betrunken gewesen wäre; er hatte nur den Punkt erreicht, wo der Trinker in zwei Personen zerfällt, von denen die eine frei von gewohnten Widerständen redet und handelt und die andere dabeisitzt und mit Verwunderung zuschaut. Borkenhagen war ihm fremd genug, um ungefährlich zu sein, und zugleich auch wieder vertraut genug, um die Schleusentore zentimeterweit zu öffnen. Mit ihm zu reden, entlastete heute und war doch morgen ohne Folgen. Dachte Nedomanski.
    „Alles Potemkinsche Dörfer!“ sagte er schleppend. „Ein großes Werk, Alleinherrscher, Millionär… Hört sich schön an, was? Keiner, der mich nicht beneidet. Fragen Sie mal meine Arbeiter – da will jeder mit mir tauschen. Aber wie’s drinnen aussieht…“
    Arme Unternehmer, dachte Borkenhagen; müssen sich abrackern, um der Nation den Wohlstand zu sichern, und keiner versteht sie.
    „Sie hassen mich alle“, sagte Nedomanski, „alle! Kenn’ Sie das Gefühl?“
    Du Ärmster, dachte Borkenhagen, du hast schon was zu leiden!
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