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Vom Kämpfen und vom Schreiben

Vom Kämpfen und vom Schreiben

Titel: Vom Kämpfen und vom Schreiben
Autoren: Carla Berling
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Kamilla ohne Rabatte verkauft hat, bekomme ich die vollen Prozente. Wenn sie Rabatte geben muss, und das sind bei manchen Großhändlern wie Amazon bis zu fünfzig Prozent, richtet sich mein Honorar danach. Kamilla Jansen behält die achthundert Mark und zieht sie von meinem Vorschuss ab. Nun habe ich nur noch vierhundert Mark Schulden beim Verlag.
    Im Oktober 2000 lerne ich, was ein Kampfschwein ausmacht: Kamilla Jansen teilt sich mit elf anderen Kleinverlagen einen Stand auf der Frankfurter Buchmesse. Mit einem anderen Kleinverleger und dessen einzigem Mitarbeiter teilt sie sich die Kosten für einen Wohnwagen auf einem Campingplatz weit draußen vor der Stadt. In diesem Wohnwagen schlafen wir nun zu viert. Jeder hat eine schmale, unbequeme Pritsche. Ich hasse es, mit wildfremden Menschen auf kleinstem Raum zu übernachten, ihre Schlafgeräusche zu hören und ihre Ausdünstungen zu riechen. Ich liege die halbe Nacht wach und bin morgens total erschöpft.
    Dennoch: Ich war noch nie auf der Buchmesse und bin beeindruckt. So gigantisch habe ich es mir nicht vorgestellt. So viele Bücher. Wer soll das alles lesen? So viele große Namen. Und ich bilde mir ein, eine Schriftstellerin zu sein? Bin ich größenwahnsinnig? Ich kann mich selbst in diesem Trubel nicht für voll nehmen. Wenn ich mir selbst gegenüber ehrlich bin, muss ich fast heulen: Mein kleiner Ratgeber ist ja nur was selbst Erlebtes. Selbst Erlebtes aufschreiben kann jeder. Das ist keine Kunst. Was habe ich mir denn eingebildet? Dass die Welt auf meinen Ratgeber gewartet hat? Dass einer kommt und sagt, ich hätte wunderbar geschrieben? Dass dieses Buch geschrieben werden musste?
    Ach Gottchen …
    Kunst ist, was die berühmten Leute geschrieben haben, die hier vorlesen und dabei gefilmt werden, bei denen die Zuschauer bis auf den Gang stehen. Sie geben Autogramme an Ständen, die luxuriös wie Hotelsuiten sind. Da trinkt man Champagner aus Gläsern und keinen Cinzano aus Pappbechern.
    Am Stand der Kleinverleger hat jeder Verlag ein einziges Regal zur Verfügung, mehr kann sich keiner leisten. Die besser situierten haben sich auch einen Stuhl gemietet, die erfolgreichen sogar einen Schrank. Das Schloss muss man extra kaufen. Alle anderen müssen den ganzen Tag stehen und eben auf ihre Sachen aufpassen. Ob die großen Verlage auch Extramiete für einen Stuhl oder einen Schrank zahlen?
    Kamilla hat mich schon vor einigen Wochen zu einer Lesung am Stand der Kleinverleger angemeldet. Ich soll aus meinem Ratgeber vorlesen. Ein weißes Pappschild, mit blauem Filzstift beschrieben, weist am Stand darauf hin. Niemand beachtet es. Zwei Berühmtheiten gehen vorbei, umringt von nobel gekleideten Leuten und eifrigen Fotografen. Jemand schiebt das Schild beiseite, damit der Pulk Platz hat.
    Kurz bevor ich lesen soll, sind noch alle Stühle leer. Mir ist schlecht. Ich habe Angst. Dieses Gefühl, überflüssig und uninteressant zu sein, mag ich nicht. Ich bin ein Hochstapler, aber doch keine Schriftstellerin. Was soll ich denn lesen aus meinem unbedeutenden Buch? Wer will das denn wissen? Bald sitzen in der ersten Reihe ein paar Mitarbeiter der Verlage, die zum Gemeinschaftsstand gehören.
    Mein Mund ist trocken, die Hände zittern, mein Herz hämmert sogar in den Haarspitzen, als ich anfange. Ich lese laut. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Leute am Gang stehen bleiben und mir tatsächlich zuhören.
    Sie müssen bleiben! Ich muss sie festhalten! Sie dürfen nicht gehen! Sie sollen zuhören!
    Jetzt kämpfe ich, als sei ich ein Schauspieler beim Vorsprechen für einen Hollywoodfilm: Ich betone, achte auf das Tempo, mache die Stimme bass-tief, damit sie noch mehr Aufmerksamkeit erregt, schaffe es, vernünftig zu atmen, damit die Stimme bis zum Ende der Sätze hält. Ich bin froh, dass ich meist in kurzen Sätzen schreibe, das lässt mir Zeit genug, um zwischendurch Luft zu holen. Die Stühle sind fast alle besetzt. Kamilla sitzt in der ersten Reihe und lächelt mir aufmunternd zu. Neben ihr die beiden, die mit uns im Wohnwagen übernachten. Ich sehe in gespannte Gesichter. Ich lese um mein Leben.
    Fünfzehn Minuten lang. Zwanzig.
    Die ersten Zuschauer stehen auf, gehen. Das nehme ich als Zeichen: Sie haben genug, es reicht ihnen, der Rest interessiert sie nicht. Oder? Ich klappe das Buch zu und verbeuge mich und weiß nicht, wie ich auf den tröpfelnden Beifall der verbliebenen Zuhörer reagieren soll.
    Am Abend sitze ich müde mit Kamilla im Restaurant des Campingplatzes.
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