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Vom Himmel in Die Traufe

Titel: Vom Himmel in Die Traufe
Autoren: Arto Paasilinna
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Stellen in der Küstenregion am Eismeer gibt es sogar nur blanke Felsen.«
    Hermanni wusste außerdem, dass die Russen geplant hatten, an den Hängen des Sündenhügels Kohl anzubauen, diesen Plan aber nicht mehr in die Tat umsetzen konnten. Im Fortsetzungskrieg wurde Petsamo zurückerobert, und deutsche Besatzer ließen sich dort nieder. Sie verteilten die vom Mönch herangeschleppte Sühneerde im Gemüsegarten vor ihrem Stabsgebäude, und dem Vernehmen nach gediehen in dieser von Qual, Schweiß und Reue getränkten Erde viele seltene Pflanzen, sogar die blaue Weintraube, was als ganz große Ausnahme galt. Und nach dem Krieg schließlich, als Petsamo erneut den Besitzer wechselte, legte die Kolchose vom Nickelbergwerk Petschenga in jener Mönchserde ein Kohlfeld an, so wie es die Russen nach dem Winterkrieg ursprünglich beabsichtigt hatten.
    Von der Spitze des Ukonkivi bot sich nach allen Richtungen ein prachtvoller Ausblick. Die Sommernacht war blaunebelig, die aufgehende Sonne färbte den nordöstlichen Horizont rot, die Natur ruhte still da, und auf dem ganzen weiten Inarisee war kein einziges menschliches Wesen unterwegs.
    »Jetzt will ich den alten lappländischen Göttern mein Opfer bringen!«
    Hermanni vermutete, dass sich die Opferstätte in jener Höhle befand, die am steilen Osthang der Felsinsel lag. Dorthin zu gelangen kostete große Mühe, die Felswand war infolge des Nachtfrostes sehr rutschig. Und natürlich passierte das Unglück: Lena Lundmark glitt ihm aus den Händen und in rasantem Tempo in eine Felsspalte hinein. Für die Frage, ob es sich dabei um die einstige Opferhöhle handelte, war jetzt keine Zeit. Bei Lenas Sturz blieb der Saum ihrer Nerzhose an einer trockenen Kiefernwurzel hängen und riss so heftig am kranken Bein, dass sich die Hüfte wieder einrenkte. Hermanni hörte ihren Schrei vom Grund der Schlucht. Er befürchtete das Schlimmste und bereute, dass er sich auf die Kletterpartie eingelassen hatte, noch dazu mitten in der Nacht.
    »Mein Bein ist wieder in Ordnung! Ist es nicht herrlich, Hermanni?«
    Tatsächlich! Lena konnte ohne Schmerzen ihr Bein bewegen. Hermanni hangelte sich zu ihr hinunter und fand sie tief drinnen in der Höhle, wo sie Parfüm auf die Felswände spritzte. Die ganze Höhle roch wie der Garten Eden. Die Frau opferte das Beste, was sie bei sich hatte. Auf der Flasche stand: Jean-Paul Guerlain, Champs-Elysées.
    Hermanni dachte bei sich, dass die einheimischen Geister wohl erst ein wenig husten würden, wenn sie diesen teuren Opferduft wahrnahmen, aber auch an den würden sie sich vermutlich gewöhnen. Auf jeden Fall war der Geruch angenehmer als der von faulen Fischköpfen oder von madigen Rentierschädeln. Wie auch immer, die Götter hatten gehandelt und den seit Tagen ausgerenkten Oberschenkelknochen wieder zurechtgerückt. Die sachkundige Hand eines Trolls hatte den Hintern der Frau genau an die richtige Stelle gelenkt. Parapsychologische Naturheilkunde.
    Lena Lundmark umarmte und drückte Hermanni mit ihrer ganzen Kraft. Das war fremd für den Waldburschen und verwirrte ihn, aber es tat ihm gut, nach all der Schinderei der letzten Tage eine solche Anerkennung zu bekommen. Der Kuss war wie eine Mundflamme! Hermanni, der ihn durch seine Bartstoppeln hindurch empfing, interpretierte ihn als Freundschaftsangebot.
    »Ist ja prima, dass alles wieder an Ort und Stelle ist.«

6
    Einen Kilometer vom Ukonkivi Nordnordwest lag die etwas größere Hautuumaasaari, die Friedhofsinsel. Der Teil des Ufers, der zum offenen See hin lag, war seinerzeit terrassenförmig abgestuft worden, denn Eis und Wasserregulierung sowie hässliche Stürme hatten dem Sandstrand so zugesetzt, dass sich die alten Gräber geöffnet hatten und die Knochen zum Vorschein gekommen waren.
    »Irgendjemand hat erzählt, dass man dort zu den besten Zeiten unten am Wasser tausend Schädel und mehrere Kubikmeter Gebeine sehen konnte. Bei rauem Wetter, wenn der Wind durch sie hindurchpfiff, heulten die Schädel mit furchterregenden Stimmen. Es ist ungefähr dasselbe Geräusch, als wenn man in eine leere Weinflasche bläst. Nur dass die Schädel kein Etikett haben.«
    Lena Lundmark glaubte natürlich keineswegs alles, was Hermanni erzählte. Sie grübelte darüber nach, warum er wie vermutlich alle fliegenden Gesellen so schrecklich übertrieb oder einfach log. Es war eben diese Art, dem anderen direkt ins Gesicht zu lügen, die ihr besonders auffiel. Es war eben nicht die Art der Finnlandschweden, die
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