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Vom Geist der Dorsai

Vom Geist der Dorsai

Titel: Vom Geist der Dorsai
Autoren: Gordon R. Dickson
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über den Sarg, wie es die Soldaten in der Großen Halle getan hatten. Statt dessen legte er seine großen Hände – jene Hände, die drei schwerbewaffnete Männer getötet hatten – wie beiläufig auf den Rand und sah hinab in das Gesicht seines toten Bruders.
    Das eine Gesicht war das Spiegelbild des anderen, das des Lebenden und das des Toten. Die aufragende Gestalt Ians war völlig reglos, und in der matten Beleuchtung des Zimmers schien es, als lebten sie beide oder als seien beide tot – so gering war der sichtbare Unterschied zwischen ihnen. Doch Kensies Augen waren geschlossen und die Ians geöffnet; Kensie schlief, und Ian war wach. Das Einssein der beiden Männer in jenem Raum war so eindeutig und offenkundig, daß mir unwillkürlich der Atem stockte.
    Ein oder zwei Minuten lang stand Ian völlig reglos. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. Dann löste er den Blick von dem Sarg, hob den Kopf und drehte sich um. Er verließ das Zimmer, schritt auf uns zu, und seine Hände waren beinah zu Fäusten geballt.
    „Meine Herren“, sagte er knapp und nickte uns zu, als er an uns vorbei- und den Korridor hinunterging. Wir sahen ihm nach, bis er hinter einer Gangbiegung verschwand.
    Charley löste sich aus unserer Gruppe und betrat mit bedächtigen Schritten den Raum. Dort blieb er einen Augenblick schweigend stehen, dann drehte er sich um und winkte.
    „Pel“, sagte er. „Kommen Sie.“
    Pel kam der Aufforderung nach, und wir anderen folgten ihm.
    „Wie ich Ihnen sagte“, wandte sich Charley an Pel. „Es gibt Menschen, die nicht dort bluten, wo es jeder sehen kann.“
    Er trat von dem Sarg fort, so daß wir ihn betrachten konnten. Dort auf dem Rand hatten Ians Hände gelegen, als er hier gestanden und auf seinen toten Bruder hinabgeblickt hatte. Die beiden Stellen waren ganz eindeutig zu erkennen, denn die hohlen Metallverzierungen an der Seite waren von einem unglaublich festen Zugriff verbogen und eingedrückt. Selbst der Textilbezug unterhalb der Beulen im Metall war aufgeplatzt und zerrissen: Und dort, wo sich die Fingerspitzen tief in die Ausfütterung gepreßt hatten, klebte jeweils ein dunkler Blutstropfen.

 
Epilog
     
    „So …“ sagte die dritte Amanda schließlich, „… jetzt wissen Sie, wie es damals wirklich war.“
    Hal Mayne nickte. Dann hob er plötzlich den Kopf und bemerkte den durchdringenden Blick, mit dem sie ihn musterte.
    „Oder“, sagte sie, „sehen Sie im Gegensatz zu mir selbst in all diesem eine tiefer gehende Bedeutung?“
    Seine Lippen bebten, als er darauf mit einer Verneinung antworten wollte – dann aber stellte er fest, daß er das nicht konnte.
    „Vielleicht“, gab er zurück. Das Gefühl tiefer Einsamkeit überschwemmte ihn einermächtigen Woge gleich, und einher damit ging der Wunsch, sich selbst zu erklären. „Sie müssen daran denken, daß ich ein Künstler bin, ein Poet. Ich … ich habe ständig mit Dingen zu tun, die ich nicht verstehe. Ich bin fast wie jemand, der von völliger Dunkelheit umgeben ist, gewisse Dinge spürt und fühlt, aber nie Konturen erkennt, die er anderen Leuten beschreiben kann.“
    Sie atmete langsam ein und aus; es klang wie ein Seufzen.
    „Also steckte die ganze Zeit über mehr hinter Ihrem Interesse für die ap Morgans und Graemes“, sagte sie.
    „Ja … nein!“ gab er beinah aufbrausend zurück. „Sie verstehen immer noch nicht. Ich kann nichts beweisen, nur … Verbindungen und Zusammenhänge … spüren.“
    Seine Hände zitterten, schienen wie zwei eigenständige Geschöpfe in die Höhe zu kommen und Zeichen vor ihm in die Luft zu malen.
    „Verbindungen zwischen dem Vergangenen und Gegenwärtigen“, erklärte er. „Zwischen Cletus und Donal und vielen anderen, die gar nicht verwandt sind. Verbindungen zwischen Ihnen und den beiden anderen Amandas, zwischen den ap Morgans und Graemes … zwischen all jenen und der Entwicklung, die die Abkömmlinge der Splitterkulturen durchmachten – die Neue Art, wie sie sich selbst nennen –, Verbindungen zu dem Rest der Menschheit auf all den anderen Welten. Ich taste mich durch die Finsternis, aber ich komme voran … Ich fühle, wie ich mich einem Ziel nähere!“
    Sie hatte sich entspannt. Sie musterte ihn noch immer, aber in ihrem Blick lag nun kein stummer Vorwurf mehr.
    „Deshalb also müssen Sie jetzt zurückkehren, zur Erde und der Letzten Enzyklopädie“, sagte sie.
    „Ja.“ Er sah sie starr an. „Ich mußte fort, um mein Leben zu retten. Jetzt aber habe
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