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Volksfest

Volksfest

Titel: Volksfest
Autoren: Rainer Nikowitz
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die Wirtschaft, weil es halt schon immer so war. Und der Bertl, der hätte jetzt deine gekriegt. Weil du hast ja sowieso keinen Erben mehr. Stimmt’s?»
    Der Achter schaute grimmig in die Ferne. Dann sagte er heiser:
    «Der alte Mantler wollte mir voriges Jahr sogar meine Äcker abkaufen. Kann man sich so was vorstellen? Hat überhaupt keinen Genierer, diese Drecksau. Sein Bub bringt mir meinen Bub um, und dann kommt er und will mir die Äcker abkaufen. Weil mein Name ja sowieso mit mir ausstirbt, hat er gesagt.»
    «Du hast dir also zuerst den Willi vorgeknöpft, damit er dir erzählt, wie die ganze Sache gelaufen ist, oder? Und ihn dann in sein Rohr geschoben. Aber warum die Johanna? Die ist ja nicht gefahren.»
    «Wie der Willi das Messer an der Gurgel gehabt hat, hat er mir brav alles erzählt. Auch, wie ihn die Johanna buseriert hat, dass er ihnen hilft. Und wie sie ihm vorgesungen hat, wie leid es ihr doch tut um den Andi, aber dass es jetzt halt nun einmal passiert ist und es den Andi auch nicht mehr lebendig macht, wenn der Gregor ins Gefängnis geht. Darum auch die Johanna. Und der Gregor ist der Nächste. Sie sollen es spüren. Der Gregor soll spüren, was der Andi gespürt hat. Und der Fünfer das, was ich gespürt hab.»
    «Aber Achter: Sie kommen dir drauf! Und dann gehst du für den Rest deines Lebens ins Gefängnis!»
    «Na und? Das soll mich schrecken? Es ist mir völlig egal, was mit mir passiert. Ich bin seit acht Jahren tot. Ich bin nur noch einmal kurz vom Friedhof zurückgekommen, weil mir der Himmelvater die Chance gegeben hat, mich zu rächen.»
    «Jetzt sei doch vernünftig. Du machst es doch nur noch schlimmer.»
    «Schlimmer? Ha! Schlimmer sagt er! Was weißt du denn schon? Was weißt du, wie das ist? Wenn in aller Herrgottsfrühe das Telefon läutet, und dann rast du dorthin, obwohl du weißt, er ist tot, tot, tot! Aber du rast trotzdem, weil vielleicht kannst du ja noch irgendwas tun, verdammt noch einmal, du bist sein Vater, du hast immer auf ihn aufgepasst; seit du ihn damals das erste Mal in den Händen gehalten hast und er so klein und noch ganz durchsichtig war, hast du auf ihn aufgepasst, du musst doch noch irgendetwas tun können! Aber einen Scheißdreck kannst du tun. Weil sie zeigen dir einen blutigen Haufen, bei dem du nicht einmal weißt, wo hinten und vorne ist. Nicht einmal ein letztes Mal umarmen kannst du deinen Sohn, weil da kein Gesicht mehr ist und nichts. Nur zerfetztes Fleisch. Also stell dich du da jetzt nicht her und erklär mir was von wegen schlimmer! Du kannst mir gar nichts erklären. Du hast keine Ahnung!»
    Eine Weile sagte der Suchanek nichts. Und dann: «Ja. Stimmt. Ich habe keine Ahnung. Aber du vergisst eines: Der Gregor hat das ja nicht absichtlich gemacht. Es war ein Unfall.»
    «Ach so? Und dann fährt er eineinhalb Kilometer weiter? Und erst dann bleibt er stehen und kletzelt den Rest vom Andi aus dem Kühlergrill? Und dann fährt er heim und sagt, Papa, mir ist da was passiert? Und der feine Herr Mantler und seine heilige Frau kaufen ihn frei? Nennst du das alles einen normalen Unfall?»
    «Nein», sagte Suchanek leise. «Nein.»
    Eine Weile standen sie einfach wortlos da. Der Achter dampfte vor wütender Verzweiflung und Suchanek vor Angst. Dann sagte Suchanek: «Ich kann aber sicher nichts für das alles. Und mich wolltest du auch umbringen.»
    «Warum musst du auch ausgerechnet an diesem Wochenende wieder hierherkommen? Und dann mitten in der Nacht draußen sein? Was hätte ich denn tun sollen? So, wie die Nidetzky dahergeredet hat, hast du mich ja genau gesehen. Und bevor dir klarwird, wen du da gesehen hast, hab ich mir gedacht … Es tut mir leid. Es war nichts Persönliches.»
    Er machte eine kleine Pause. Und dann sagte er: «Es ist nichts Persönliches.»
    Jetzt musste Suchanek lachen. Trotz dieses an sich nicht sehr ermutigenden Wechsels ins Präsens. «Es ist nichts Persönliches! Super. Genau das hat der Grasel auch gesagt. Na, da hab ich jetzt aber was davon.»
    «Wer hat das gesagt?»
    «Der Grasel. Der Wimberger Alex.»
    «Wieso heißt der Grasel?»
    «Weil … Ach, wurscht jetzt.»
    Das Erdbeben ließ vollkommen überraschenderweise immer noch auf sich warten. Irgendwie musste diese Situation ja auch wieder gelöst werden, und Suchanek hatte nicht den Eindruck, dass er derjenige mit dem Finger am Drücker war. Ans Gewissen appellieren, dachte er. Er ist ja kein schlechter Kerl. Er ist ein Schmerzensmann. Wer weiß, was du an seiner
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