Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vogelfrei

Titel: Vogelfrei
Autoren: Julianne Lee
Vom Netzwerk:
ein paar Goldstücke unter diesem Stein versteckt habe. Niemand wusste davon, noch nicht einmal Cait.« Er hielt den Zellophanfetzen hoch. »Das hier ist das Papier eines Zimttoffees, für die ich schon immer eine Schwäche hatte, und es liegt schon sehr lange hier. Ich wette, dass ich es nach meiner Rückkehr in die Vergangenheit hier liegen gelassen habe.«
    »Das kannst du nicht wissen.«
    »Aber du weißt es. Du weißt, dass es mir nie bestimmt war, das einundzwanzigste Jahrhundert zu erleben. Du weißt, dass es keine Zufälle gibt, denn du hast nicht umsonst dieses Schwert verzaubert. Und du weißt auch ganz genau, dass du mich letztendlich doch zurückschicken wirst, du willst mich nur vorher noch ein bisschen quälen.«
    Ein leises Lächeln spielte um ihre Lippen. »Ich bin ausgebrannt, vollkommen erledigt, wie ihr modernen Menschen sagen würdet.« Ihr Lächeln verblasste. »Aber eines weißt auch du nicht, junger Freund: Ich war an jenem Tag dabei, als du gestorben bist. Es war einer der schwärzesten Tage meines Lebens, und mein einziger Trost bestand in dem Wissen, dass ich dich noch ein einziges Mal sehen würde - an dem Tag, an dem du mich bitten würdest, dich zurückzuschicken. Und wenn ich das getan habe, werde ich dich nie wieder sehen.« Sie hielt inne und blickte zum Himmel empor, der sich langsam violett verfärbte. Ein Ausdruck tiefen Kummers trat in ihre Augen. »Ich habe lange gelebt und sehe einem einsamen Ende entgegen. Es gibt nicht mehr viele Feen auf der Erde, und die Sterblichen wollen von den Sidhe nichts mehr wissen. Ich werde dich furchtbar vermissen.«
    Ein dicker Kloß bildete sich in Dylans Kehle. »Ich konnte doch nicht ahnen ...«
    »Natürlich nicht. Ihr Sterblichen denkt immer, die Sidhe hätten keine Gefühle.« Tränen rannen ihr über die Wangen, ihre Stimme begann zu zittern. »Nun geh. Lass mich allein.« Sie hob eine Hand.
    »Warte! » Sinann seufzte. »Was ist denn jetzt schon wieder?«
    Dylan schleuderte hastig seine Schuhe von sich und wühlte in seiner Reisetasche herum. Dann entledigte er sich seiner Jeans, des T-Shirts und der Jockeyshorts, schnallte seinen sgian dubh um, streifte sein Hemd über und schlang sich das Wehrgehänge mit der leeren Schwertscheide über die Brust. Schließlich legte er seine Gamaschen an, schob Brigid an ihren alten Platz und schlüpfte wieder in seine neuen Wildlederstiefel mit Gummisohle. Dann stand er auf und sah Sinann an. »Fertig. Nein, warte.« Wieder kramte er in der Tasche herum, förderte die Tüte mit den Zimttoffees und die Aspirinflasche zu Tage und schob sich beides in seine linke Gamasche. »So, jetzt kann's losgehen.«
    Sinann flatterte zu ihm hinab und sah ihm einen Moment lang in die Augen. »Du bist mein Cuchulain, Dylan Robert Matheson, mein Held. Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr du mir ans Herz gewachsen bist.« Sie legte eine Hand gegen seine Wange. »Leb wohl, mein Held.« Wieder hob sie die Hand. Ein trauriges Lächeln trat auf ihr Gesicht. »Und grüß mich, wenn du in der Vergangenheit bist, ja?«
    »Das werde ich tun.«
    »Ich weiß.« Sie winkte mit der Hand, und die Welt wurde dunkel. Dylan hörte noch, wie sie in Tränen ausbrach, dann war sie verschwunden.
    Als das Licht zurückkehrte, befand er sich wieder auf dem Schlachtfeld von Sheriffmuir; an derselben Stelle, wo er gestanden hatte, als er verwundet worden war. Um ihn herum tobte die Schlacht, und er hob hastig sein Schwert vom Boden auf, um sich eines englischen Dragoners zu erwehren, der auf ihn zustürmte. Eine rasche Parade, ein gerader Stoß, und der Rotrock brach sterbend zusammen. Sinann starrte sprachlos auf ihn herab. Sie wirkte, als hätte sie gerade einen Geist gesehen.
    »Du lebst! Habe ich das bewirkt?, fragte sie verwundert.
    »Ja und nein.« Voll überströmender Freude, sie zu sehen, schob Dylan sein Schwert in die Scheide, nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie auf die Stirn, ehe er ihr über den Schlachtlärm hinweg zurief: »Übrigens soll ich dich von dir grüßen!« Dann fasste er sie um die Taille und hob sie hoch. »Flieg!« Er warf sie in die Luft und sah zu, wie sie wild mit den Flügeln schlug. »Hier unten ist es für dich nicht sicher.«
    Dann zog er wieder sein Schwert, sah sich um und stellte fest, dass seit seiner Verwundung keine Zeit verstrichen war. Pferde wieherten, verwundete Männer wälzten sich schreiend im niedergetrampelten Heidekraut. Überall klebte Blut. Dylan drohte mit seinen neuen Schuhen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher