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Vogelfrei

Titel: Vogelfrei
Autoren: Julianne Lee
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und hoffe.
    »Bring das nicht in Unordnung, Kilt und Plaid bestehen aus einem Stück.«
    Wieder zupfte Cay daran herum. »Schön weich fühlt sich das an.«
    »Finger weg, hab' ich gesagt. Das ist echte Hochlandwolle, deswegen ist der Stoff so weich.«
    Cay schnippte mit den Fingern gegen seinen Gürtel. »Ehrlich?«
    Er nickte. »Ehrlich. Es ist ein authentischer feileadh mór, ein nach alter Tradition gewebter Kilt. Ich muss ihn auf dem Boden ausbreiten, mich darauf legen und den Stoff dann in die richtige Form bringen. Nimm bitte die Hände weg, sonst verrutscht alles ...« Als sie nicht losließ, warnte er: »Du willst wohl unbedingt was auf die Finger haben, wie?« Endlich gehorchte sie und ließ ihn in Ruhe.
    Immer wieder wurde er von Leuten, die er bei anderen Festspielen getroffen hatte oder aus der Stadt kannte, begrüßt und musste zurückwinken. Aber er sah auch viele unbekannte Gesichter. Viele Amerikaner schottischer Abstammung schienen sich sehr für die Kultur und die Traditionen ihrer Vorfahren zu interessieren. Dylan holte tief Atem, freudige Erregung stieg in ihm auf. Wie musste es wohl früher bei den Zusammenkünften der Clans gewesen sein, wo das Gespräch mit alten Freunden und die Möglichkeit, neue zu gewinnen, ebenso wichtig gewesen war wie die Spiele selbst?
    Plötzlich entdeckte er Cody Marshall im Gewühle und lächelte ihr freundlich zu, als sie kehrtmachte und mit ihrem Mann Raymond im Schlepptau auf ihn zukam. Dylan kannte Cody schon sein ganzes Leben lang, ihr Mann dagegen war für ihn ein unbeschriebenes Blatt. Er hielt Raymond für einen Langweiler, für ein richtiges Weichei. Sein langes, von grauen Strähnen durchzogenes Haar sah immer aus wie aus Polyester gemacht, und er trug stets eine blasierte Miene zur Schau. Aber Cody liebte diesen Kerl über alles, also hielt Dylan in ihrer Gegenwart seine Zunge im Zaum.
    Cody trug ein Kleid nebst Mieder aus dem 17. Jahrhundert. Ihr glänzendes rotes Haar war kunstvoll geflochten, hochgesteckt und wurde von einem zum dreieckigen corrachd tri-chearnach gefalteten Leinentuch bedeckt. Raymond hatte Jeans und ein T-Shirt mit dem Emblem der Titans an. Dylan betrachtete Cody wohlgefällig. »Eine echte schottische Maid«, bemerkte er.
    Cody musste lachen. »Du denkst wohl, ich wüsste nicht, was das bedeutet, was? Irrtum, mein Lieber. Glaubst du, ich wollte dir den Kopf abschlagen?«
    »Zuzutrauen wär's dir.«
    »Aber ich tu's nicht. Immerhin hast du mir ja beigebracht, wie so was geht.«
    Dylan küsste sie sacht auf die Wange, ehe er murmelte: »Ciamar a tha thu?«
    »Mir geht's gut«, beantwortete Cody seine Frage - die einzigen gälischen Worte, die sie kannte. »Und selbst? Wo steckt denn Ginny?«
    Ein dicker Kloß bildete sich in Dylans Kehle, doch er zuckte nur lässig mit den Achseln. »Aus und vorbei, fürchte ich.«  Cody schenkte ihm ein mitfühlendes Lächeln, dann sagte sie mit gedämpfter Stimme: »Tut mir Leid für dich, obwohl ich lügen müsste, wenn ich sagen wollte, dass mich das überrascht.« Dylan musterte sie forschend, versuchte zu ergründen, wie viel sie wusste, doch sie winkte nur ab. »Ich hatte bei euch so ein dummes Gefühl.« Dann legte sie ihm eine Hand auf den Arm und wechselte rasch das Thema. »Übrigens habe ich vorhin einen fantastischen Zwei-händer gesehen. Einen echten.«
    Dylans Interesse war sofort geweckt. »Tatsächlich? Wie alt war er denn ungefähr?«
    »Ach, mindestens vierhundert Jahre. Eher fünfhundert, würde ich sagen.«
    Dylan ließ den Blick über die Menge wandern, die sich vor den Ständen und Schaukästen drängte. »Wo ist er denn? Ich muss ihn mir unbedingt...«
    Raymond unterbrach ihn. »Ich wollte dich schon immer mal was fragen, Dylan. Ist Matheson eigentlich ein englischer Name?«
    »O nein.« Bei dem Gedanken, wie seine Vorfahren eine so beleidigende Unterstellung wohl aufgenommen hätten, wäre Dylan fast in einen schottischen Akzent verfallen.
    Raymond lächelte unsicher. »Aber dieses Anhängsel -son ...«
    »Unser Clan war im nördlichen Hochland Schottlands beheimatet. Matheson ist die anglisierte Form von MacMhathain, was, wie man mir sagte, Sohn der Helden bedeutet, oder auch Sohn der Bären, was in der traditionellen bildlichen Darstellung ungefähr dasselbe ist.«
    Raymond zog die Augenbrauen hoch, was Dylan verstimmte, dann bemerkte er: »Ich hatte ganz vergessen, wie gut du auf diesem Gebiet Bescheid weißt.«
    Dylan zuckte nur mit den Achseln, blickte sich um und suchte
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