Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Vögelfrei

Titel: Vögelfrei
Autoren: Sophie Andresky
Vom Netzwerk:
Einstellungen werden immer schneller, nur kann ich die Spannung nicht überwinden. Ich komme nie in diesen Träumen. Was mir, wenn ich wach bin, so leichtfällt, ist dann unmöglich. Irgendwann wache ich völlig gerädert auf, fühle mich malträtiert und benutzt, bin gereizt und aggressiv und bodenlos enttäuscht.
     
    Es gab einen einzigen Mann in meinem Leben, neben dem ich, als ich ihn liebte, schlafen und träumen und im Traum kommen konnte. Bei dem ich nicht Tiefschlaf-frigide war. Als hätte seine pure Anwesenheit neben mir im Bett gereicht, um den Knoten zu lösen. Diese Orgasmen, die mich gleichzeitig geträumt und körperlich, bewusstlos und wach überkamen, sprengten mich und ließen ein körperloses, schwebendes reines Glück zurück. Ich habe ihm das nie erzählt. Er bemerkte nur meine besonders gute Laune am nächsten Tag.

    Kein anderer Mann hat es geschafft, mich so tief zu berühren. Und ausgerechnet er ist heute Abend nicht unter meinen Gästen. Dabei hätte ich ihn zu gern an meiner Seite, will unter der Damasttischdecke sein Knie an meinem spüren und seine Hand an meinem Oberschenkel. Am liebsten wäre ich mit ihm allein heute Abend, würde meinen Kopf in seinen Schoß legen und die Augen schließen, aber das geht nicht. Erst muss ich diese Sache zu Ende bringen.
     
    Und das am besten gut gelaunt, weil es nichts bringt, bei einem Fest, egal, welchen Anlass es hat, Trübsal zu blasen. Also trinke ich noch einen Schluck Champagner, stehe leicht schwankend auf nackten Füßen da und höre, wie sich Schritte auf der Treppe nähern.
    Kurze, kleine Schritte mit einem leisen Klacken, das, wie ich gleich errate, von altmodischen Schnallenschuhen stammt. Hilde tänzelt herein. Meine Retterin. Meine Verräterin. Sie hat wie immer die Anmut und Eleganz eines Revuegirls aus den Zwanzigerjahren - eines verstorbenen oder spukenden Revuegirls, sollte ich wohl besser sagen, denn Hilde ist so blass, dass man glauben könnte, sie sei durchsichtig. Ihr kurzes pfirsichfarbenes Kleidchen schwingt bei jedem schwebenden Schritt, und ihre zum Bubikopf geschnittenen Haare fallen dicht wie ein Helm. Sie zeigt nie Haut. Ihre dünnen Beine stecken in silbrigen Strümpfen. Am Hals hat sie den Stehkragen bis unters Kinn zugeknöpft, ein langer Chiffonschal ist wie eine Krawatte darum gebunden. Die Ärmel gehen am Ellenbogen nahtlos in lange Satinhandschuhe über.

    Hilde steht vor mir und schweigt. Sie weiß offenbar nicht, was sie von meiner Einladung zu halten hat, und überlegt, ob es eine Falle sein könnte. Aber ich bin froh, dass sie gekommen ist, denn ich habe nicht gern offene Rechnungen, und sie soll wissen, was ich weiß: Wir sind quitt. Ich trete auf sie zu und küsse sie, ohne etwas zu sagen, auf den Mund. Sie öffnet ihn sofort, nicht lustvoll, sondern leicht erschrocken. »Hilde«, sage ich nur, als ich mich wieder von ihr löse. »Schön, dass du da bist.«
    Sie nickt, immer noch stumm, nimmt ein Glas Champagner entgegen und trippelt kaum merklich von einem Fuß auf den anderen wie ein kleines Mädchen, das mal zur Toilette muss.
    »Da ist ja die berühmte Holzschatulle«, sagt sie schließlich und zeigt auf eine Nische hinter mir. Extra hingestellt und indirekt beleuchtet. Leicht angesengt, schon reichlich mitgenommen. Das schuhkartongroße Kästchen mit Vorhängeschloss war alles, was ich dabeihatte, als ich durchnässt und frierend, verletzt und blutend und so allein wie noch nie zuvor im Leben vor Hilde stand.
    Ehe wir Erinnerungen austauschen können und das große Weißt-du-noch? anfängt, werden wir durch ein Blitzlichtgewitter unterbrochen, das in dem schummrig beleuchteten Raum wirkt wie ein Feuerwerk. Leo schießt als Begrüßung Fotos von uns mit seiner riesigen Kamera. Ich hebe mein Kleid hoch, ziehe eine Schnute und posiere wie ein Pornostar auf einer Gummidödelmesse. Hilde runzelt die Stirn und tritt aus dem Bild.
    Leo kommt lachend auf mich zu, nimmt mich in die Arme und küsst mich wie im Hollywoodfilm so lange,
dass mir der Atem wegbleibt. Mein Lippenstift ist danach völlig verschmiert, aber was macht das schon. Es ist ein Spiel zwischen uns, das angefangen hat, als wir für eine sehr kurze Zeit gemeinsam mit Sex Geld verdient haben.
    Wenn wir uns heute anrufen, nennen wir oft nur irgendeinen versexten Zeichentricktitel und wissen dann beide sofort, ob es dem anderen gut geht. Leo ruft: »He!, da ist ja der Star aus Bibi Bummsberg - Sex ist keine Hexerei , und wer hat sie nicht gesehen in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher