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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei
Autoren: Sophie Andresky
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vorstellen kann, ist berühmt und berüchtigt. Gemma versteht sich als Hure aus Passion. Sie weiß, dass Sex Macht bedeutet, und das berauscht sie. Ihr glatt rasierter Kopf und die Piercings fallen selbst in einer Stadt wie unserer auf. Ihr durchtrainierter Körper mit den vielen Tattoos steckt in einem schlichten bodenlangen Kleid aus schwarzem Nylon, eigentlich einem Schlauch, der spektakulär aussieht, weil er komplett durchsichtig ist. Man sieht die halterlosen Strümpfe darunter und sonst nichts außer nackter Haut. Gemma trägt nie Unterwäsche. Der Ring durch ihre Brustwarze glänzt, sie stakst auf mich zu wie die Herrin der Hölle, und ich neige huldvoll und ehrerbietig den Kopf. Dann nehme ich sie feste, ganz feste in die Arme, und an mich geschmiegt wird diese harte, strenge Herrin weich und schwesterlich, küsst mich auf die Wange, drückt mich noch einmal und kichert wie ein Schulmädchen. Gemma ist die praktischste, patenteste, gradlinigste Frau, die ich kenne. In ihrer mageren, tätowierten, gepiercten Brust schlägt das größte Herz, das man sich vorstellen kann, und ihr Verstand ist so scharf wie die Klingen, die sie bei ihren besonderen Dienstleistungen benutzt.
    Da sind sie, meine Gäste. Sie stehen im Halbkreis um mich herum und warten. Samir als misstrauischer Maharadscha, Leo, der ununterbrochen Fotos schießt, Malte wie immer sehr darauf bedacht, niemandem zu nahe zu kommen, Gemma in ihrer Fetischpelle, die mir zuzwinkert, Leander dicht an meiner Seite, scheu und schön wie
ein aus seinem Königreich verstoßener Prinz, und Hilde, die die Lippen aufeinanderpresst und an ihrem Krawattenschal nestelt. Und ich.
    Ich muss jetzt dringend etwas essen, sonst bin ich bald völlig betrunken. Ich gebe Jannik ein Zeichen, dass wir beginnen, und bitte zu Tisch.

2
    HILDE
    VORSPEISE:
     
    Sauerampfersalat
mit frischen Pomelos
     
     
    Malte stopft sich die Damastserviette in den Ausschnitt seines zerknitterten Hemdes, wie für Spaghetti oder Spareribs. Früher nahm mich meine Tante immer mit in eine fürchterliche Steakhouse-Kette; eigentlich war es eine auf mexikanisch getrimmte Rinderverwertungsanstalt mit zähen Fleischlappen und dubiosen Beilagen, die entweder nach Hasenlosung oder Diarrhö aussahen - und das Ganze derart gewaltig portioniert, als sollte man gleich anschließend in schweren Ketten in einer Mine Erz schürfen. Zum Essen gab es Hemdenschoner, die um den Hals geknotet wurden, und auf denen stand: »Fett mag mal spritzen, doch bleib nur ruhig sitzen. Wir halten es fern und schützen dich gern.« Ich habe mich damals schon gefragt, wie man nach einem Essen mit einem Mann in diesem Lokal noch mit ihm ins Bett gehen sollte, nachdem man ihn den ganzen Abend belatzt und bekleckert gesehen hatte wie ein Riesenbaby.
    Malte hebt das Schälchen mit dem Salat an die Nase und schnuppert daran. Auch Gemma und Leo sehen hungrig
aus. Ich proste ihnen zu. Es ist gut, wenn rund um diesen Tisch mit Lust und Laune gegessen wird. Hilde hält die Gabel linkisch in der Hand, scheint nicht genau zu wissen, was sie damit tun soll. Malte stößt sie mit dem Ellenbogen an, hat bereits ein Salatblatt im Mund, und während er ein Stück Feige aufspießt, sieht er sich im Raum um. Schließlich zeigt er auf die hölzerne Schatulle.
    »Was ist das eigentlich für eine Kiste?«, fragt er mich, »die passt so gar nicht zum Dekor.«
    »Der Schatz der Marei van den Brouck«, verkündet Hilde, als würde sie einen Filmtitel zitieren. Malte nickt.
    »Gesehen hab ich die auch schon mal, aber ich meine, was ist drin?«
    Bevor ich etwas sagen kann, klärt Hilde ihn auf. »Eine kleine Schaufel. Ziemlich dreckig. So eine, mit der man Blumen in Beete pflanzt.«
    Malte schaut mich erstaunt an, und auch die anderen warten auf Erklärungen, aber die gibt es nicht. Noch nicht. Stattdessen erzähle ich ihnen, wieso Hilde das überhaupt weiß, denn ich trage die Schatulle zwar immer bei mir, wenn ich unterwegs bin, aber ich öffne sie nie.
    »Ich habe den Schlüssel dazu erst gekauft, nachdem ich Hilde getroffen hatte«, fange ich an, »und das war vor ziemlich genau einem Jahr.«
    »Ganz genau vor einem Jahr, heute vor einem Jahr«, unterbricht Hilde mich mit leicht beleidigtem Unterton.
    Gemma hebt ihr Glas: »Oha, wir feiern ein Jubiläum, einen Freundinnenjahrestag«, toastet sie und trinkt, obwohl ich mit den Schultern zucke und den Kopf schüttle.
Hildes Absatz war abgebrochen, und sie saß unglücklich auf der Treppe vor einem
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