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Vögelfrei

Titel: Vögelfrei
Autoren: Sophie Andresky
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in meinem Oberarm geweckt.
     
    »Ist dir mal aufgefallen, dass manche Männer beim Orgasmus gucken wie ein Kater beim Kacken?«
    »So glasig?« Ich musste lachen. Hildes Absätze klapperten neben mir, als wir durch das Viertel gingen, in dem sie arbeitete. Ihre kleine, kühle Hand lag fest in meiner.
    Sie nickte. »Man erwartet doch fast, dass sie, wenn sie gekommen sind, anfangen, auf dem Laken zu scharren.« Wir bogen in eine Gasse ab. »Wenn Sie könnten, würden sie sich anschließend die Eier lecken.« Ich bezweifelte das und versuchte mich an einen einzigen Pornofilm zu erinnern, bei dem die Darstellerinnen nach erfolgtem Vollzug nicht begeistert am Schwanz des Beschälers herumleckten,
egal, aus welcher Möse er gerade gezogen wurde. Hilde guckte missbilligend und hielt mit der freien Hand den Kragen ihres Trenchs am Hals enger zusammen.
    »Das Dümmste ist doch wohl, wenn die Mädels sich gegenseitig mit einem Dildo ficken sollen und vorher völlig ekstatisch an dem Gummiteil lutschen.«
    »Schön ist es aber schon, wenn es beim Reinstecken auch flutscht«, sagte ich betont sachlich. Hilde lächelte und sah fürchterlich süß aus, wie ihr eine Haarsträhne übers Auge fiel.
    Wir waren auf dem Weg zu einem ihrer Kurse. Ich wohnte schon fast zwei Wochen bei ihr und wusste immer noch nicht, was genau sie in dem Stadtteilzentrum eigentlich unterrichtete.
    »Hat Sexualaufstellung etwas mit Therapie zu tun?«, fragte ich. »Mit diesem Familiendings?«
    Hilde zuckte die Achseln. »Manchmal schon, aber wir machen das freier. Leute kommen mit einem Problem, und ich versuche zu helfen, das ist alles.«
    »Bist du Therapeutin? Woher kannst du das?«
    Sie sah mich leicht bockig an. »Ich sehe, denke, lese und lerne. Die Hauptsache ist doch, dass man helfen will .«
    »Eine Ausbildung hast du nicht?« Ich blieb hartnäckig. Hilde löste ihre Hand aus meiner, ging etwas schneller und meinte, indem sie mir ihr Handgelenk mit der Uhr entgegenhielt, wir müssten uns jetzt beeilen.
     
    Die Sitzung fand in einem Gymnastikraum statt. Etwa dreißig Hilfesuchende waren anwesend, und ich staunte,
welche Autorität Hilde plötzlich hatte. An ihrer Nähmaschine oder wenn sie Milchreis kochte, zu mir in den Badezuber stieg oder sich Zofenfantasien ausdachte, war sie sanft, verspielt, mütterlich. Aber hier sprach sie im klaren Befehlston, kommandierte die Frauen auf die eine, die Männer auf die andere Seite: Matten ausbreiten, hinsetzen und zur Einstimmung kurze Schweigemeditation.
    Während die anderen im Schneidersitz auf den harten Matten hockten und die Köpfe hängen ließen, sah ich mich im Raum um und entdeckte am Eingang eine Keksdose mit einem handgeschriebenen Zettel darüber: »Freiwilliger Obolus«.
    Dann räusperte sich Hilde und fragte in die Runde, wer denn heute als Erster dran sein wolle. Eine Frau meldete sich und berichtete, sich nicht zwischen ihrem Mann und dessen engstem Freund entscheiden zu können, weil beide über unterschiedliche Qualitäten verfügten. Hilde wies sie an, für sich und die beiden Männer Darsteller aus der Runde zu suchen.
    Die Frau ging im Kreis herum, teilweise mit geschlossenen Augen. Sie hielt die Hände vor sich, als trüge sie eine Wünschelrute, blieb stehen, tappte dann doch wieder weiter und streckte schließlich mir die Hand entgegen.
    »Ich wähle sie aus«, sagte sie und hielt meine Hand hoch, als hätte sie mich gerade ersteigert. Sie griff mir in die Taille und fügte erklärend hinzu: »Ich nehme ja seit fünf Jahren zehn Kilo ab, und sie hier ist genauso schlank, wie ich eigentlich bin, innerlich.« Ich verkniff mir ein Grinsen.

    Dann erhielt ich meine Regieanweisungen.
    Ich sollte mich mit einem anderen Teilnehmer kopulierend auf eine Matte drapieren, während ein zweiter hinter mir Löffelchen lag. Der Mann, an den ich mich jetzt presste, roch leicht nach Döner und vollführte seine Stoßpantomime so inbrünstig, als würde er für einen Gangbang gecastet. Der hinter mir lag steif wie ein Brett da, war offenbar stark erkältet und röchelte mir in den Nacken.
    Hilde stand mit der unentschiedenen Frau über uns. »Was siehst du?«, fragte sie. Die Frau ging um uns herum und überlegte lange. Der Pantomime betrieb seine Ficksimulation mit stoischem Ernst, und ich fragte mich, ob ich wohl morgen am Schambein blaue Flecken haben würde.
    »Ich bin irgendwie eingepfercht zwischen beiden!«, rief die Frau und zeigte auf mich, als hätte sie gerade eine bahnbrechende
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