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Violas bewegtes Leben

Titel: Violas bewegtes Leben
Autoren: Adriana Trigiani
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immerhin sind wir an einer Universität – interessieren sich die Studenten hier denn gar nicht für Nachwuchsfilme?
    Die Filme dürfen höchstens fünfzehn Minuten lang sein. Die vierzehn Wettbewerbsbeiträge werden in alphabetischer Reihenfolge mit einer Pause in der Mitte gezeigt. Dann dürfen die Zuschauer für den Publikumspreis abstimmen, während die Jury sich zurückzieht, um den Gewinner festzulegen. Wir bekommen solange einen kleinen Imbiss, und anschließend findet dann die Preisverleihung statt.
    Romy, Marisol, Suzanne und ich kleben wie gelähmt auf unseren Sitzen, als es losgeht. Die ersten Beiträge kommen uns recht amateurhaft vor, sie beruhen auf nur einer einzelnen Idee und sind sehr statisch umgesetzt. Romy beugt sich zu mir unddrückt mir die Hand. Ihrer Meinung nach haben wir den Sieg schon in der Tasche.
    Doch dann kommt der Film Großmutters letzter Tag , der die Geschichte einer sterbenden Großmutter erzählt, aus der Perspektive ihrer Enkelin, die mit ihr über ihr Leben spricht. Filmisch eher einfach gemacht, doch der Inhalt, eine schwarze Großmutter, die aus ihrem Leben zur Zeit vor den Bürgerrechtsgesetzen erzählt, ist einfach umwerfend. Der Film schafft es, gefühlvoll zu sein, ohne ins Sentimentale abzurutschen. Ich schreibe Romy eine Notiz, dass wir beim Publikumspreis alle geschlossen für diesen Film stimmen sollen. »Erst müssen wir noch die anderen sehen«, flüstert sie. Romy ist in dieser Hinsicht sehr fair.
    Ich muss fast den Saal verlassen, als der Vorspann für Die May- McGlynn-Story auf dem Bildschirm erscheint. In diesen eineinhalb Sekunden beschließe ich, dass ich zum absolut letzten Mal einen Film gemacht habe. Ich stelle mir vor, wie ich im Leihhaus an der Atlantic Avenue meine Kamera verkaufe und dann, Jahre später, in einem Büro sitze. Ich kann diesen Druck unmöglich aushalten.
    In den ersten Minuten wirkt das Publikum wach und aufmerksam, doch dann, als die Szene mit Trish kommt, zieht ein Kichern durch den Saal. Mein Film war eigentlich nicht als Komödie gedacht. Trish lacht auch, das Gesicht in den Händen vergraben, und ich finde das ziemlich beleidigend. Ich habe mein Projekt sehr ernst genommen, und als es ans Schneiden ging, stand ich da mit ihren miesen Aufnahmen, und nun sehe ich, dass sie das Ganze – wie alles in ihrem Leben – nur als Spaß betrachtet hat. Wieder eine Lektion gelernt.
    Das Gelächter erstirbt wieder, als die Geschichte nachHollywood wechselt, wo George und Grand voller Gram die Todesnachricht erfahren. Das Publikum atmet kaum noch, während das Bild nach einer Reihe von Schnitten zu der Totalen wechselt, in der die beiden traurig und einsam auf der Bühne stehen. Ich habe diese Einstellung drei Sekunden lang gehalten, eine lange Zeit, und hinterher spüre ich, dass ich das Publikum zurückgewonnen habe.
    In der Schlussszene, wo May (Suzanne) als Geist über die Felder wandert, spricht sie die Kernaussage des Films: dass ein Leben im Film ewig Bestand hat, während ein Leben auf der Erde unweigerlich irgendwann enden muss. Selbst May McGlynn, hübsch, voller Tatendrang und Talent, kann dem ultimativen Schicksal des Lebens nicht entgehen – der Tod wartet auf uns alle. May sagt: »Ich war ein Mädchen wie ihr, aus Indiana, das ein bisschen Glück hatte. Und dann eines Tages, verließ mich dieses Glück. Genießt die Gegenwart, denn morgen schon kann alles vorbei sein.«
    Der Film ist zu Ende. Tosender Applaus bricht los. Ich nutze die letzten Sekunden der Dunkelheit, während der Abspann über den Bildschirm zieht, und renne aufs Klo. Ich gehe hinein und spritze mir Wasser ins Gesicht. Wie machen meine Eltern das nur?, frage ich mich. Warum machen sie das? Und warum machen sie es immer und immer wieder? Das ist doch furchtbar.
    Romy kommt herein, gefolgt von Suzanne und Marisol. »Alles okay mit dir?«, fragt Marisol.
    »Ich hätte den Film niemals einreichen dürfen. Und dann musste er ausgerechnet auch noch nach diesem perfekten Großmutter-Film gezeigt werden. Ich habe Glück, dass keiner mit Tomaten geworfen hat.« Ich fange an zu weinen.
    Marisol rupft harte braune Papiertücher aus dem silbernen Spender. »Hier.«
    Das braune Papier kann meine Tränen nicht aufsaugen. Es ist, als würde man in einen Ziegelstein weinen. Suzanne, Marisol und Romy scharen sich um mich, während ich schluchze. Es ist mir peinlich, dass ich heule. Das Mädchen in dem Großmutter-Film hat schließlich ihre Oma verloren, ich habe mich nur mit einem
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