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Villa Oma

Villa Oma

Titel: Villa Oma
Autoren: Ilse Kleberger
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sich ein Vogel, schüttelte ein wenig sein Gefieder und warf sich in die Luft. Wie ein kleiner Pfeil flog er empor, schlank und schön mit dem gegabelten Schwanz und in der Sonne glänzendem Gefieder. Hier folgte einer und da, und dann drängten sie sich aus den Käfigen und Kartons und schossen in ganzen Schwärmen aufwärts. Oben, über dem Bahnhof, vereinigten sie sich zu einer dunklen Wolke, die ein wenig hierhin schwang und dahin glitt, dann aber in weichen Bögen davonsegelte. Helle, jubelnde Vogelschreie drangen aus ihr hervor. Es war so schön zu sehen und zu hören, daß den Pieselangs das Herz weit wurde und sie sich an den Händen packten. Gino lachte laut. Frau Hubermeier liefen die dicken Tränen über die Backen. Fort schwebte die Vogelwolke nach Süden, wurde kleiner, immer kleiner, und dann war sie verschwunden.

Peppino

    Dem frühen Herbst folgte ein unfreundlicher November. Tagelang regnete und stürmte es. Die Kinder hatten eines nach dem anderen einen Riesenschnupfen. Der Lehrer in der Schule war schlechter Laune und nahm es übel, daß Jan zum drittenmal seine Vokabeln nicht gelernt hatte. Er schrieb einen Brief an Vater Pieselang, worauf Jan drei Nachmittage, statt auf dem Hof seines Freundes Frieder im Stall bei den Pferden zu helfen, englische Vokabeln pauken mußte. Er fand das sehr überflüssig, denn er hatte gerade beschlossen, Bauer zu werden, und wenn er eine Kuh Englisch anredete, würde sie ihm auch nur mit „Muh“ antworten. Wozu also die Quälerei?
    Auch Oma hatte ihre Last. Sie war zwar von dem Schnupfen verschont geblieben, mußte aber jeden Tag in die Villa hinübergehen, um Frau Hubermeier zu pflegen, die ernstlich krank darniederlag. Der Doktor, der gerufen wurde, sagte, sie hätte ein schwaches Herz, sie müßte Ruhe haben und abnehmen, sich keine Sorgen und traurigen Gedanken machen und regelmäßig ihre Medizin nehmen. Als er gegangen war, brach Frau Hubermeier in Tränen aus. Nein, ins Krankenhaus wollte sie auf keinen Fall. Aber allein im Haus bleiben wollte sie auch nicht. Sie hatte Angst. Sie hatte immer Angst, wenn sie abends allein im Haus war, nicht nur jetzt. Und wie sollte sie abnehmen, wo sie doch so gerne kochte und aß? Wollte man ihr diese letzte Freude auch noch nehmen?
    Oma wurde ein bißchen energisch und sagte, es gäbe noch andere Freuden im Leben als das Essen, und wenn Frau Hubermeier sich in dem großen Haus nicht wohl fühlte, müßte man ihr halt eine kleinere Wohnung suchen. Vorerst aber, bis es ihr wieder besser ging, würde Brigitte bei ihr schlafen und Oma würde jeden Tag herüberkommen, das Haus saubermachen und kochen. Frau Hubermeier schluchzte erneut und nannte Oma einen Engel und ihre Retterin. Aber Oma sagte:
    „Ach, Schnickschnack“, und fing an die Fenster zu putzen, durch die man kaum noch sehen konnte. Das Allerärgste aber passierte Peter. Er war mit ein paar Kindern aus seiner Klasse auf dem Heimweg von der Schule, als ihm der „schlimme Alfred“ mit Peppino begegnete. Der „schlimme Alfred“ war der Trunkenbold des Dorfes. Er sammelte Lumpen und verkaufte sie in der Stadt an eine Papierfabrik. Wenn er nicht getrunken hatte, war er ein stiller, scheuer Mann. Aber wenn er sich ein paar Biere und Schnäpse in die Kehle gegossen hatte, wurde er bösartig. Er randalierte und bedrohte jeden, der ihm in die Quere kam. Die Dorfbewohner hatten Angst vor ihm und gingen ihm aus dem Wege. Einmal hatte er die ganze Einrichtung des Dorfkruges kurz- und kleingeschlagen, weil der Wirt sich geweigert hatte, ihm Schnaps auszuschenken. Zwar kam er dafür ins Gefängnis, aber als er wieder entlassen wurde, ging er als erstes in den Krug und sagte zu dem Wirt:
    „Du gibst mir jetzt einen Schnaps, sonst schlage ich dir wieder die Bude entzwei, egal, wo ich dann lande.“

    Der Wirt wagte es nicht mehr, ihm etwas zu verweigern, und so war der „schlimme Alfred“, wie ihn das Dorf nannte, fast ständig betrunken. Mit einem Karren torkelte er durch das Dorf. Die Leute, bei denen er vorsprach, gaben ihm Lumpen und alte Zeitungen, um ihn loszuwerden. Seit einem Jahr zog er den Karren nicht mehr selber. Damals War ein Italiener im Ort aufgetaucht, ein elender, kleiner alter Mann mit einem Esel. Er versuchte bei den Bauern Glassachen aus Venedig zu verkaufen, aber sie hatten wenig Interesse an den Vasen und bunten Figuren. Eines Abends saß er traurig im Dorfkrug neben dem „schlimmen Alfred“, der noch ziemlich nüchtern war, und jammerte:
    „Ich
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